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Zürcher Fachsymposium Palliative Care 2022

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Die Bilder zum 7. Zürcher Fachsymposium Palliative Care. (copyright: foto-net, Kurt Schorrer, Dübendorf)

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11. Oktober 2022
Das Fachsymposium Palliative Care 2022 widmete sich dem Thema «Spuren hinterlassen». Was ist Menschen in der letzten Lebensphase wichtig? Und welche Wünsche und Bedürfnisse haben sie?
«Eigentlich möchte doch jeder Spuren hinterlassen, seien diese nun gross oder klein. Spuren in der Familie, im Freundeskreis, im Verein oder im Beruf », sagte Stadtrat Andreas Hauri in seinen Begrüssungsworten zum Fachsymposium Palliative Care 2022. Auch der Vorsteher des Gesundheitsdepartements will mit seiner Arbeit Spuren hinterlassen. «Ich bin froh, dass wir mit der Altersstrategie 2035 ein Zeichen gesetzt haben und uns so auf die Zukunft ausrichten.» Jeder Einwohner, jede Einwohnerin – egal vor welchem sozialen Hintergrund – soll möglichst lange ein selbstbestimmtes Leben führen können.

Interprofessioneller Austausch in der Gesprächsrunde

In einer interprofessionellen Gesprächsrunde – moderiert von Lucia Zimmermann, Programmleiterin Bildung am Schulungszentrum für Gesundheit –, berichteten fünf Fachleute, welche Erfahrungen sie mit dem Thema «Spuren hinterlassen» gemacht haben. Ralf Schiemer, Klinischer Fachspezialist am Kompetenzzentrum Pflege und Gesundheit, wies darauf hin, dass Spuren vor allem auch Emotionen seien. Emotionen, die bei Pflegepersonal und Angehörigen entstehen, aber eben auch solche, welche die Patienten selbst erleben. «Wir sehen bei den Patienten Angst, aber auch sehr viel Mut», sagte er. «Es sind sehr starke Emotionen, welche viele am Ende ihres Lebens den Angehörigen übergeben.» Mut und Stärke, damit die Nächsten Abschied nehmen können. «Das bewundere ich jeden Tag von neuem.» Marcel Meier, Fachexperte Palliative Care am Mattenhof, stellte fest, dass all die Begegnungen mit Patientinnen und Patienten sowie deren Angehörigen bei ihm Spuren hinterlassen haben: «Man erlebt sehr viele Schicksale, die in Erinnerung bleiben.» Gerade wenn er sehr junge Menschen auf der Palliativstation begleite, sei dieses Erlebnis sehr einprägsam. An einen solchen Moment erinnerte sich auch Matthias Staub, Sterbebegleiter bei Pace und Betriebsleiter Gesundheitszentren Witikon und Riesbach. Er steht den Menschen in den letzten Lebensstunden bei. Und da würden sich Werte drastisch verändern. «Irdische Güter wie Geld oder Autos werden absolut zur Nebensache. Werte wie Zeit, Präsenz, Nähe gewinnen an enormer Bedeutung.»

Spuren wollen viele Menschen hinterlassen, wenn sie das Lebensende vor sich sehen. Dr. med. Sabine Wyss, Oberärztin am Gesundheitszentrum Mattenhof, erinnerte sich an spezielle Spuren: Einer Grossmutter, welche spürte, dass sie die nahe Geburt ihres Enkelkindes nicht mehr erleben würde, wollte dem Kind etwas Persönliches hinterlassen. So bastelte sie eine Leine mit Flaggen, welche sie mit guten Wünschen und Zeichnungen versah. Eine wunderschöne Nachricht für das Enkelkind entstand.

Solche Geschichten prägen sich bei den Betreuenden ein. Doch wie verarbeiten die Profis diese Erlebnisse, welche so berührend sein können? Olaf Fritzen, Leiter Pflege am Gesundheitszentrum Gehrenholz, wies darauf hin, wie wichtig der Austausch im Team ist. Und essenziell ist, dass die Pflegenden ihre Work-Life-Balance finden. So haben sie die Kraft für die Menschen, welche ihnen anvertraut sind.

«Das Leben wird wieder zum Glänzen gebracht»

In einem ersten Referat stellte Tony Styger das Projekt «Lebensspiegel» vor. Der Theologe und Notfallseelsorger arbeitet bei der Andreas-Weber-Stiftung und verfasst gemeinsam mit Palliativpatienten einen Lebensrückblick. Es ist ein Text, der bedeutungsvolle Ereignisse im Leben von kranken oder alten Menschen aufnimmt und den Angehörigen hinterlassen werden kann. «Dabei ist der Prozess genau so wichtig wie das Ergebnis selbst», sagte Tony Styger. Mit diesem Rückblick wird dem Erzählenden nochmal die prägenden Stationen seines Lebens vor Augen geführt. Er kann sein Leben würdigen und Kraft schöpfen für den nächsten Lebensabschnitt. Ein Autor oder Autorin führt das Gespräch. Es geht um Fragen wie: Was war eigentlich die beste Zeit meines Lebens? Was hat mich ausgefüllt? Aus dem rund eineinhalb-stündigen Gespräch wird dann ein Text, der das Leben würdigt. Tony Styger sagt: «Das Leben wird wieder zum Glänzen gebracht.»

Ein «Audio-Vermächtnis» ist das Projekt Hörschatz von Journalistin und Kommunikationsfachfrau Gabriela Meissner. Mit einer sehr persönlichen Audiobiografie hinterlassen früh verstorbene Eltern ihren minderjährigen Kindern eine Erinnerung an Mami oder Papi, die für immer bleibt. In eigenen Worten erzählt der unheilbar kranke Elternteil aus seinem Leben. Der Hörschatz kann den Kindern bei der Trauerverarbeitung helfen, und er begleitet sie auf dem Weg zum Erwachsenwerden. Bereits 30 Hörschätze haben Gabriela Meissner und ihre Kollegin Franziska von Grünigen produziert. «Mit diesem Hörbuch bleiben den Kindern nicht nur Erinnerung, sondern auch die Stimme von Mami oder Papi erhalten», sagte Gabriela Meissner. Am Symposium durften die Fachleute eine kurze Sequenz aus einer solchen Audioaufnahme hören – ein eindrücklicher Moment für alle Anwesenden.

Schliesslich stellte Petar Sabovic, Präsident der Vereinigung «wunschambulanz.ch SAW Schweiz», sein Projekt vor. Noch einmal den Lieblingsort sehen, in die Berge fahren oder ein Konzert besuchen? Die Wunschambulanz erfüllt Wünsche von Menschen, die an einer unheilbaren Krankheit leiden und nicht mehr lange zu leben haben. Seit 2017 konnten Petar Sabovic und seine ehrenamtlichen Helferinnen und Helfer über 400 Kranken unvergessliche Erlebnisse ermöglichen. Im Ambulanzfahrzeug und betreut von Fachleuten werden die meist immobilen oder bettlägerigen Menschen dorthin gebracht, wo sie unbedingt nochmal sein möchten: an den Lieblingssee oder zur Verabschiedung an einen Vereins-Anlass. Nach Arosa ins Bärenland oder auf die Insel Ufenau. «Für ein paar Stunden tritt die Krankheit in den Hintergrund und macht die Menschen glücklich.» Ein ganz besonderer Ausflug zeigte Petar Sabovic in einem Video: Eine schwerkranke junge Frau wird mit der Wunschambulanz zum Zürcher Stadthaus gefahren, wo sie ihrer besten Freundin und deren Mann die Trauringe überbringen kann – auf der Trage liegend, umgeben von Helfern und mit einem erfüllten Lächeln im Gesicht.

Den Fokus auf Ressourcen und Lebenssinn richten

Was können aus psychologischer Sicht die Wünsche am Lebensende sein? Antworten auf diese Frage gab das Referat von Manuela Marchetti, Psychologin am Gesundheitszentrum für das Alter Mattenhof. «In meiner Arbeit stehen nicht so sehr die Linderung von Krankheitssymptomen im Vordergrund, sondern die Erhaltung, Stärkung und Förderung der Lebensqualität», sagte die Psychologin. Der Fokus ist in dieser letzten Lebensphase auf Ressourcen gerichtet, auf Wünsche und Lebenssinn. Dabei stellt sich die Frage, was es grundsätzlich braucht, damit es uns Menschen gut geht. Die Grundbedürfnisse sind Bindung, Kontrolle, Lustgewinn und Selbstwert, wie Manuela Marchetti ausführte. Am Lebensende diesen Bedürfnissen Raum zu geben, sei wichtig: etwa in Form von Anerkennung und Wertschätzung, von Liebe, Nähe und Geborgenheit, von Lebensfreude und Selbstbestimmung. Dies sind Ziele von Palliative Care, und genau für sie engagieren sich die Fachleute.
palliative zh+sh / Bettina Weissenbrunner