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Von der Palliative-Care- zur Covid-Station geworden

Meisterten mit ihrem Team die Umstellung von der Palliative-Care-Station zur Covid-Station und wieder zurück: Die Leitende Ärztin Annette Ciurea und Stationsleiterin Simone Illi. (Bilder: zvg)

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13. Juli 2020 / Region
Ein halbes Jahr, nachdem Simone Illi die Palliative-Care-Station am Spital Männedorf als Stationsleiterin übernommen hat, wurde diese in eine Covid-Station umfunktioniert. Für die neue leitende Ärztin Annette Ciurea fand diese Umstellung nach ihrer ersten Arbeitswoche statt. Im Interview erzählen sie, wie es ihnen in dieser Zeit ergangen ist und wie sie die unterschiedlichen Bedürfnisse unter einen Hut bringen konnten.
Seit August 2019 sind Sie die neue Stationsleiterin der Palliative Care-Station im Spital Männedorf. Sie kommen aus einem ganz anderen Bereich. Was hat Sie bewogen die Disziplin zu wechseln?
Simone Illi (SI): Ich habe mich bewusst für Palliative Care entschieden. Mich fasziniert die Wirksamkeit aller therapeutischen, pflegerischen, medizinischen Massnahmen und der interdisziplinären Zusammenarbeit.

Seit März 2020 arbeiten Sie als neue leitende Ärztin auf der Palliative Care-Station im Spital Männedorf. Wie sind Sie gestartet?
Annette Ciurea (AC): Grundsätzlich bin ich gut gestartet. Nur war der Betrieb gerade mal eine Woche «normal», dann wurden wir zur «Covid-Station». Die alltäglichen Strukturen, in die ich mich erst noch am Einarbeiten war, galten plötzlich nicht mehr. Geholfen haben mir die kurzen Wege im Spital Männedorf. Es herrscht eine offene hilfsbereite Atmosphäre und da ich schon einmal hier gearbeitet habe, kenne ich die Strukturen und Räumlichkeiten.

Was sind die hauptsächlichen Unterschiede zu Ihrer Tätigkeit im Stadtspital Waid?
AC: Ich war vorher im Stadtspital Waid in der universitären Klinik für Akutgeriatrie tätig. Die Patienten, die ich dort betreute, waren hochaltrig, also meist deutlich über 80 Jahre alt. Die medizinischen Probleme waren daher häufig Multimorbidität, Stürze und kognitive Einschränkungen, also Demenz oder Delir. In der Palliativstation sind die Patienten jünger, oft auch noch im Erwerbsleben und haben meist onkologischen Erkrankungen. Beiden Disziplinen gemeinsam ist die Komplexität und Interprofessionalität. Allerdings erlebe ich die Arbeit auf der Palliativstation als noch intensiver, beispielsweise die Fragen des sozialen Umfelds betreffend, der Spiritualität und der psychischen Situation der Patienten. Viele Patienten kommen immer wieder auf die Station, was dem Beziehungsaufbau förderlich ist. Die Zusammenarbeit mit den Onkologen ist sehr gut, das erleichtert die Betreuung sehr.
«Ich habe als Ärztin zum ersten Mal in meinem Leben Patienten mit einer Krankheit behandelt, die bis anhin noch nicht bekannt war und deren Verlauf ich daher nicht kannte.» Annette Ciurea

Was war speziell in Bezug auf die Covid-Situation? Gab es besondere Herausforderungen in dieser Zeit?
AC: Ich habe als Ärztin zum ersten Mal in meinem Leben Patienten mit einer Krankheit behandelt, die bis anhin noch nicht bekannt war und deren Verlauf ich daher nicht kannte. So war es schwierig, den Schweregrad der Erkrankung einzuschätzen oder eine Prognose zu stellen. Anstrengend war auch die unglaubliche Informationsflut und dauernde Anpassung der Richtlinien beispielsweise bezüglich Isolationsmassnahmen. Diese Massnahmen erschwerten die Betreuung natürlich zusätzlich, da sie eine Distanz zu den Patienten schaffen. Teilweise waren Situationen schwierig einzuschätzen. Manchmal mussten Patienten plötzlich auf die Intensivstation verlegt werden, denen es zwei Stunden vorher noch einigermassen gut ging.

SI: Die Angst der Patienten sowie die schwankende Sauerstoffsättigung im Blut standen bei vielen Patienten im Vordergrund. Die grosse Berufserfahrung des Pflegeteams war in der Situation sehr wichtig. Wir konnten uns auf die individuelle Symptombehandlung ähnlich wie bei Palliative-Care-Patienten fokussieren. Nichtsdestotrotz war die Betreuung der Patienten durch die Isolationsmassnahmen sehr aufwendig. Es brauchte einen zusätzlichen «zudienenden Dienst». Der Tagesablauf war völlig anders und zu Beginn des Lockdowns kamen täglich fünf bis zehn neue Informationen rein, die wiederum Anpassungen bei der Betreuung erforderlich machten. Schutzmaterial war auf der Isolationsstation von Beginn weg genügend vorhanden, schwierig waren in diesem Zusammenhang aber die täglichen neuen Weisungen.
«Die Patienten waren sehr dankbar, und die Schutzmassnahmen fürs Personal waren erfolgreich.» Simone Illi

Das Team zeigte sich sehr aufgeschlossen und engagiert bei der Schulung. Zu jener Zeit war noch nicht klar, wann wir Covid Patienten aufnehmen. Das Einrichten zur Covid-Station bereits am nächsten Tag war dann allerdings ziemlich emotional, erst da kamen erste Fragen und Ängste beim Personal auf. Sobald wir dann aber unsere ersten Covid Patienten in Empfang genommen hatten, legten sich diese wieder. Verstorbene mussten in einem Bodybag gelagert werden. Dies wurde durch die Pflegenden gemacht und war eine gänzlich neue, nicht schöne Erfahrung, der vorher noch niemand ausgesetzt war.
Es gab aber auch gute Erfahrungen. Die Patienten waren sehr dankbar, und die Schutzmassnahmen fürs Personal waren erfolgreich. Vom Team erkrankte nur eine Mitarbeiterin an Covid 19, dabei war unklar, ob die Ansteckung privat oder bei der Arbeit erfolgte. Sie ist jetzt wieder wohlauf.

AC: Also die Sorge, dass man andere anstecken könnte, weil man auf einer Covid-Station arbeitet, war schon auch ein Thema: «Habe ich mich gut geschützt? Wie schütze ich meine Familie?» Es war eine grosse Verunsicherung in jeder Hinsicht. Wir betreuten etliche 50- bis 60-jährige Patienten, die schwer erkrankt waren und die sich plötzlich mit der Endlichkeit befassen mussten. Ein Gespräch über Advance Care Planning war in dieser Situation eine Herausforderung.

SI: Die meist besorgten Angehörigen wurden, wenn immer möglich, miteinbezogen trotz Besuchsverbot. Das Telefon wurde zu einem zentralen Arbeitsinstrument und die Gespräche brauchten mehr Zeit.

AC: Wegen dem Besuchsverbot konnten die Angehörigen zum Beispiel eine Verschlechterung nicht miterleben oder nachvollziehen. Wir versuchten telefonisch den Kontakt herzustellen.

Die Rückkehr zur Palliative-Care-Station erfolgte etwa vier Wochen später, da eine andere Station in eine Covid-Station umfunktioniert wurde. Das war wichtig, um wieder Palliative-Care-Patienten aufnehmen zu können. Wie war diese wiederum neue Situation? Welche besonderen Erkenntnisse haben Sie daraus gezogen?
SI: Diese Rückkehr vollzog sich sehr schnell. Das Team freute sich, wieder palliativ tätig zu sein. Neue Mitarbeitende, die Anfang März gestartet waren, brauchten etwas mehr Zeit um «anzukommen», weil sie die anderen Mitarbeiter nur mit Maske kennenlernen konnten. Es fehlten ihnen die Gesichter und die Mimik der einzelnen Personen. Für Patienten hatten wir während der «Maskenzeit» eine Karte gestaltet, worauf sie die Mitarbeitenden mit und ohne Maske sehen konnten.

AC: Erkenntnisse aus der Covid-Zeit auf unserer Station sind sicher nebst vielen anderen, der haushälterische Umgang mit dem Material. Es wurden viele kreative Ideen entwickelt. Es hat uns als Team zusammengeschweisst, das war sehr schön zu sehen. Wir hoffen aber auch auf Erkenntnisse auf nationaler Ebene in Bezug auf Schutzmaterial, Medikamentenknappheit und vielen anderen. Die Schweiz ist mit einem «blauen» Auge davongekommen.

SI: Die Zusammenarbeit und Unterstützung durch viele Pflegende von anderen Abteilungen, der Infektionspräventions-Verantwortlichen und den zahlreichen anderen Diensten, war sehr eng, hilfreich und zuverlässig. Wir konnten immer auf sie zählen. Dies war eine sehr gute Erfahrung
palliative zh+sh, Christina Günther