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Der Tod und die Jugendlichen

Sarah Kahn (schwarzer Rollkragenpulli) und Micha Weishaupt (Brille) sprachen in der Ausstellung «Noch mal leben vor dem Tod» vor zwei Konf-Klassen aus dem Knonaueramt von den Erfahrungen, die sie mit dem Tod gemacht haben. (Bilder: sa)

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07. November 2016 / Region
Am Donnerstagabend haben Jugendliche die Ausstellung «Noch mal leben vor dem Tod» besucht. Menschen, die Erfahrung mit dem Sterben haben, standen ihnen Red und Antwort.
Walter Wegner starb wenige Tage, nachdem ihm mitgeteilt wurde, er müsse das Hospiz verlassen. Der Kranke war im Jahr, das er im Hospiz verbracht hatte, aufgeblüht. «Kann man selbst entscheiden, wann man stirbt?» fragte Liv Kägi in die Runde. Am Donnerstagabend waren je eine Konfirmationsklasse aus Aeugst und Hausen am Albis nach Zürich in die Limmat Hall gereist, um sich mit den Themen Sterben und Leiden zu befassen.

Kägi, Pfarrerin im Industriequartier, hatte Menschen eingeladen, die mit dem Sterben zu tun haben; Pflegefachfrau Margarete Reisinger etwa, die auf der Palliativstation des Uni-Spitals Zürich (USZ) arbeitet. Sie bezeichnete die Geschichte von Wegner, einem der Porträtierten in der Ausstellung, als «Klassiker.» Auch in ihrer Station geschehe es häufig, dass Patientinnen und Patienten sterben, bevor sie in ein Pflegeheim oder ein Hospiz übertreten müssten. Ganz so, als wollten sie sich auf nichts Neues mehr einlassen.

«Man wagt sich nicht vom Bett weg»

Wegners Freundin hatte den Patienten nach dem Jahr im Hospiz nicht bei sich zu Hause aufnehmen wollen. Dieser Umstand schockierte die Jugendlichen, was ihre entsetzten Gesichtern anzusehen war. Sarah Kahn nahm die Position der pflegenden Angehörigen ein, weil sie selber innert kürzester Zeit ihre beiden Eltern, ihre Tante, ihren Onkel und ihre Grossmutter verloren hatte. Heute engagiert die 30-Jährige sich als Freiwillige auf der Palliativstation im USZ. «Als Angehörige wagt man sich fast nicht vom Bett des Patienten weg.» Diese Zeit sei sehr belastend und anstrengend. Unter anderem deshalb leiste sie heute diesen Dienst. Damit die Familie auch mal spazieren gehen und sich ein bisschen erholten könne. Ihre eigene Mutter sei gestorben, als sie zum ersten Mal früher als üblich das Spital verliess, um ein ihr wichtiges Fest feiern zu können. Sie hatte die Mutter zuvor gebeten, nicht in ihrer Anwesenheit zu sterben.

Wie man sich von einem toten Menschen verabschiedet, war eine andere Frage, die in der Runde diskutiert wurde. «Der Tod ist in den Medien, in den Computerspielen omnipräsent. Aber einen Toten berührt, hat heute fast noch niemand», sagte Rolf Steinmann. Er ist der Leiter des Bestattungs- und Friedhofamts der Stadt Zürich. Man dürfe die Verstorbenen anfassen und umarmen, wenn man das wolle. «Denn Leichen sind nicht giftig.» Im Bestattungsamt werden die Verstorbenen aufgebahrt. Angehörige, Freunde und Bekannte können sich dort von ihnen verabschieden. Er selbst nähere sich den Toten immer respektvoll und ohne Hektik. Er klopfe zum Beispiel an, bevor er den Aufbahrungsraum betrete. Auch wenn kein Besuch da sei.

«Ich wäre zum Sterben nicht parat gewesen»

Auch Notfallseelsorgerin Verena Mülethaler findet es wichtig, dass Angehörige sich der toten Person stellten. Die Pfarrerin wird gerufen, wenn jemand überraschend stirbt, bei einem Unfall oder einem Suizid. «Wenn die Untersuchung durch die Polizei abgeschlossen ist, sollen sich Angehörige vom Verstorbenen verabschieden, ihn oder sie umarmen und berühren können. Dazu ist Zeit nötig.»

Michael Lauermann ist auch einer der Menschen, die in der Foto-Ausstellung zu sehen sind. Er wird mit den Worten «Ich habe wahnsinnig gern gelebt» zitiert. Ob Sterbende eine Lebensbilanz zögen, fragte Pfarrerin Liv Kägi in die Runde. Micha Weishaupt verlor seine Mutter an Krebs und ein Jahre später wurde bei ihm selbst ein Hirntumor diagnostiziert. «Ich hatte Angst vor der OP, ich wäre nicht parat zum Sterben gewesen», erzählte der Student den Jugendlichen. Er finde es gut, wenn man auch als junger Mensch neben den vielen Zielen, die man sonst habe, das Vergnügen nicht aufschiebe und sich Zeit nehme, das Leben zu geniessen.

Eine weitere Diskussion drehte sich um die Frage, ob man starke Schmerzmittel nehmen will, wenn man stirbt, auch wenn diese einem die Sinne vernebeln. Ihre Mutter habe Schmerzen gehabt und das Morphin genommen, sagte Sarah Kahn. Sie sei abwechslungsweise an einem Tag ansprechbar gewesen und am nächsten wieder nicht. «Zum Schluss waren es zwei Tage am Stück, an denen wir nicht mehr mit ihr kommunizieren konnten. Ich fand das schade. Wir hatten keine Gelegenheit, weitere Dinge zu klären.»

«Sterben ist in jedem Alter ein Thema»

Es war offensichtlich eindrücklich für die jungen Besucherinnen und Besucher, wie die eingeladenen Gäste über ihre Erfahrungen sprachen. Jedenfalls war die Runde mucksmäuschenstill. Zwischen die verschiedenen Gespräche legte Djembe-Spieler Roman Bruderer einen Klangteppich. Pfarrerin Liv Kägi, selbst erst 30 Jahre alt, hatte an alles gedacht, um die jungen Erwachsenen an das schwere Thema heranzuführen.

Weshalb wollte sie junge Menschen in die Ausstellung über den Tod holen? «Beim Übergang von der Pubertät ins Erwachsenenalter gehen einem viele existenzielle Fragen durch den Kopf.» Zudem sei das Sterben in jedem Alter ein Thema. Viele Jugendliche gaben an, sie seien bereits einmal mit einem Todesfall in der Familie konfrontiert gewesen. Bei fast allen war ein Grosselternteil gestorben. Es sei sinnvoll, dem Thema Sterben im Voraus Aufmerksamkeit zu schenken, sagte Kägi. «Man spricht mit den Jugendlichen ja auch über das Lebensthema Sexualität, so ist es auch wichtig über das Sterben und Leiden zu reden. Möglicherweise hilft das in belastenden Situationen. »
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