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Aschen, die uns nicht kalt lassen

Aschen, die uns nicht kalt lassen

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Ein Relikt aus der Einäscherung eines Menschen. (Bild: Tina Ruisinger)

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«Asche – und was vom Ende bleibt». Mit Fotografien von Tina Ruisinger und Texten von Barbara Bleisch, Meret Gut, Michèle Roten u. a. Stadt Zürich, Friedhof Forum (Hrsg.). Zürich, 2021. ISBN 978-3-9524142-3-1 (erhältlich im Friedhof Forum für CHF 28 über )

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24. Juni 2021 / Region
Das Foto-Buch «Asche» mit Fotografien von Tina Ruisinger und Texten bekannter Autorinnen und Autoren geht der in der Schweiz populärsten Bestattungsform auf den Grund, der Kremation. Aber nur vordergründig. Buch und die dazu gehörende Ausstellung untersuchen gleichzeitig, was uns Sterbliche ausmacht.
Was von uns bleibt, ist grobes Material. Fotografin Tina Ruisinger hat die sterblichen Überreste von 50 Menschen fotografiert, nachdem sie kremiert wurden. Poröse Knochenstücke, Schutt und Asche, durcheinandergewirbelt auf einem Haufen. Daraus schauen Metallteile wie Nägel, Klammern oder verschraubte Metallstücke hervor. Man lernt im Buch «Asche», dass die Mitarbeitenden des Krematoriums nach dem Verbrennen der Leichen den Knochenkalk zerkleinern müssen, damit er überhaupt in die Urnen passt.

Tina Ruisinger beschäftigt sich als Fotografin schon länger mit Themen rund um Leben und Sterben. Sie interessiert vor allem die Frage, was von einem Menschen bleibt, wenn er die Welt verlassen hat. In einem früheren Projekt «Traces» (Spuren) hat sie sich mit Dingen beschäftigt, die Hinterbliebene als Erinnerung an andere aufbewahren.

Kremation als Trend
Das Friedhof Forum der Stadt Zürich hat anlässlich der Ausstellung «Asche», die bald zu Ende geht, nun auch das passende Buch herausgegeben. Man erfährt darin interessante Dinge über die Kremation, zum Beispiel, dass in der katholischen Kirche bis 1963 ein Kremationsverbot galt. 1980 waren schweizweit bereits mehr als die Hälfte der Bestattungen Kremationen. Heute werden in der Stadt Zürich über 90 Prozent der Verstorbenen kremiert. Die Öfen, in denen das geschieht, werden bis zu 1300 Grad heiss. Der ganze Prozess, vom Einfahren des Sargs in den Ofen bis zum Abfüllen der Asche in die Urne, dauert rund drei Stunden. Normalerweise.

Ein wirklich grosses Problem, so steht es im nüchternen Frage-und-Antwort-Teil des Buches, «ist eindeutig die Kremierung stark übergewichtiger Leichen». Das ist nicht nur beim Einsargen oder beim Einfahren in den Ofen ein Problem – vielerorts sind die Öfen maximal auf 150 Kilogramm ausgelegt –, sondern auch beim Verbrennen: Körper mit einem hohen Fettanteil entwickeln eine extreme Hitze bei der Verbrennung. Diese wird vor allem für die Filter ein Problem, wenn die Rauchgase nicht genügend abgekühlt werden können. Dann kann es sein, dass der Rauch per Notfallklappe in die Umwelt abgegeben werden muss, «und über dem Krematorium wird eine schwarze Rauchfahne sichtbar».

Überreste von Ufos
Warum sich tote Körper beim Verbrennen manchmal bewegen und was mit Brustimplantaten oder Piercings geschieht, wird im Buch ebenfalls erklärt. Der fotografische Hauptteil aber widmet sich den Dingen aus Metall oder Glas, die neben Asche und Knochenstückchen übrigbleiben. Tina Ruisinger hat sie vor schwarzem Hintergrund perfekt ausgeleuchtet fotografiert. Es sind skurrile Objekte, die aus der Zeit gefallen scheinen. Als hätten Archäologen der Zukunft Überreste von Ufos, Robotern oder Maschinen ausgegraben. Tatsächlich sind es künstliche Hüftgelenke, Herzschrittmacher oder Prothesen, die nach dem grossen Feuer auf der Aschenplatte liegen bleiben und von dem Krematoriums-Mitarbeitenden aussortiert und von einer Recycling-Firma wiederverwertet werden. Darunter sind auch anrührende Sargbeigaben: ein Sackmesser, ein Glöckchen oder ein Golfschläger zum Beispiel.

Autorinnen und Autoren wie Michèle Roten, Max Küng oder Meret Gut haben je zu einem Objekt, das einer verstorbenen Person in den Sarg gelegt wurde, wunderbare Texte geschrieben. Roten macht das Sackmesser zum feministischen Vermächtnis der Mutter an die Tochter. Gut verwandelt «’s Glöggli» in ein herzzereissendes Liebesgedicht auf Mundart. Küng schreibt, weshalb er seine letzte Reise lieber ohne Gepäck antreten würde und warum er nicht Golf spielt.

Die Fantasien darüber, was die übrig gebliebenen Dinge bedeutet haben, ihr Einbetten in eine Geschichte, ein Leben – in das man als Betrachterin der Fotografien ebenfalls sofort verfällt –, dies alles zeigt, dass unsere banalen Überreste schliesslich doch vom Leben erzählen. Die abgekühlten Aschen und Objekte lassen uns nicht kalt. Deshalb ist dieses Buch so gut und die Ausstellung unbedingt sehenswert.

Ausstellung «Asche – und was vom Ende bleibt» nur noch bis 15. Juli 2021, im Friedhof Forum, Aemtlerstrasse 149, 8003 Zürich (beim Haupteingang zum Friedhof Sihlfeld).
palliative zh+sh, Sabine Arnold