Wie kommt eine 28-jährige Designerin aufs Thema Tod? Indem sie die Fachrichtung Trends & Identity an der Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK) bei Bitten Stetter studiert. Die Professorin hat sich jüngst mit ihren eigenen Arbeiten rund ums Sterben einen Namen gemacht, zum Beispiel ihren hochwertigen Spitalhemden. Wie eine Art Kaftan getragen sehen diese im Alltag durchaus modisch aus. Für ihre Bachelor-Studierenden war ein Modul im Hospiz Aargau Pflicht.
«Das war schon heftig. Einige Mitstudierende hatten ein bisschen Angst mit dem Thema konfrontiert zu werden», berichtet Selina Fässler eineinhalb Jahre später. In Gesprächen mit Sterbebegleiterinnen, Pflegenden und weiteren Fachpersonen stellte sie fest, dass in der Gesellschaft kaum Wissen über Sterben und Tod vorhanden ist. Der damaligen Studentin blieben vor allem die skurrilen Geschichten im Gedächtnis hängen, zum Beispiel wie eine Angehörige ihre Wohnung erst wieder betreten wollte, als die Leiche weggeschafft war.
Stocksteife HasenUnbeholfen, unwissend, unsicher reagieren die meisten Menschen, wenns ums Sterben geht. So erging es auch Fässler. Sie selbst war bisher im Leben kaum mit dem Tod konfrontiert worden, abgesehen von den stocksteifen Hasen, die sie und ihre Geschwister ab und an im Gehege fanden. «Dabei macht Aufklärung den Tod viel weniger abstrakt. Diffuse Ängste oder Missverständnisse können abgebaut werden», ist sie überzeugt. Ganz nüchtern wollte sie aufzeigen, was beim Sterben abläuft, und klebte unzählige Post-It-Zettel mit Fragen an die Wand.
Rund ums Thema Sterben fand sie zudem eine «Designwüste» vor. Vieles sei ungestaltet, sagt die gelernte Grafikerin und bezieht sich dabei auch auf ihre Dozentin Stetter. Wenn es um Bilder gehe, würden immer wieder dieselben Symbole bemüht: Hände, die sich halten. Schmetterlinge. Mit Moos überwachsene Brücken.
Rettungsring und BüchsentelefonDie vielen Fragen blieben, dazu kamen gut recherchierte Antworten und eigene Bilder, die sich jenseits der Klischees bewegen. Sie taufte die Karten RUND UM, die auf der einen Seite eine Frage mit dem passenden Bild tragen und – umgedreht – auf der anderen die Antworten. Fässler gestaltete die Bildideen, Metaphern zu den jeweiligen Themen, als Vektorgrafiken auf dem Computer. «Das mache ich gern und geht mir leicht von der Hand.» Sie illustrieren Fragen wie:
- Ist Sterben schwierig?
- Wie lange kann man noch mit Sterbenden reden?
- Warum dürfen Angehörige während der Sterbebegleitung sich selbst nicht vergessen?
Zur ersten Frage entwarf Fässler eine Figur, die einen Tunnel betritt. Die Frage nach dem Sprechen mit einer sterbenden Person zeigt zwei mit Schnur verbundene Konservendosen, ein Kinderspiel, das Kommunikation symbolisiert. Die Frage nach der Selbstpflege der Angehörigen ist mit einem Rettungsring illustriert, die einer ertrinkenden Person zugeworfen wird. Fässlers Bilder sind einfühlsam, behalten gleichzeitig eine Leichtigkeit und regen zum Teil sogar zum Schmunzeln an.
Das Modul im Hospiz schloss Selina Fässler also mit dem ersten RUND UM Set zum Thema Sterbeprozesse ab. Bei der Abschluss-Ausstellung im Hospiz wollten viele Besucherinnen und Besucher ihr die Karten bereits abkaufen. Sie musste sie vertrösten. Für ihre Bachelor-Arbeit erweiterte sie die Idee: Es kam noch das Set Patientenverfügung hinzu, das beim Erstellen einer Patientenverfügung hilft, sowie RUND UM Sterbeethik, das sich um Wünsche und Werte rund um Krankheit und Sterben dreht. Ihre Bachelor-Arbeit wurde für einen Förderpreis nominiert.
Gut recherchierte Informations-Häppchen«Es ist schön zu sehen, dass die eigene Arbeit einen Wert hat.» Motiviert von den vielen guten Feedbacks wollte Selina Fässler nach Abschluss des Studiums die Kartensets nun definitiv auf den Markt bringen. Dass dazu noch viele Schritte nötig sind und der ganze Prozess länger als ein Jahr dauern wird, hätte sie nicht erwartet. Sie nahm aber auch alles ganz genau: Lektorat, die Druckvorlagen – sie musste auch noch Verpackungen für die Karten entwickeln –, eine Website inklusive Online-Shop und die Geldsuche für eine erste Produktion beschäftigten sie.
Jetzt wurden die drei Sets in einer ersten Auflage von je 1000 Stück gedruckt. In Fachkreisen kommen die sorgfältig recherchierten und formulierten Informations-Häppchen gut an. Roland Kunz, ärztlicher Leiter Zentrum für Palliative Care im Stadtspital Waid, sagt: «Rund ums Sterben wird so vieles nicht an- und ausgesprochen – weil wir den Einstieg nicht finden. Die Kartensets eignen sich perfekt als Schlüssel zum Thema.»
Als Selina Fässler das Thema für ihre Bachelor-Arbeit wählte, sagte ihre Mutter noch, sie solle doch etwas Positiveres aussuchen. Die Studentin liess sich nicht abbringen. Die Themen rund ums Lebensende ziehen sie nicht runter, im Gegenteil. «Sie haben mich irgendwie geerdet. Früher war ich viel zu fleissig und im Hamsterrad gefangen. Jetzt hinterfrage ich öfters, was mein Leben eigentlich lebenswert macht, und geniesse mehr.»
Fässler im Friedhof ForumSelina Fässler ist offen, weitere Kartensets in Zusammenarbeit mit einer Institution oder einer Fachperson anzugehen. «Es juckt mich definitiv in den Fingern, noch weitere Sets zu entwerfen», sagt sie. Für die städtischen Gesundheitsdienste Zürich durfte sie bereits sechs Frage-Antworten-Karten zum Thema Palliative Care gestalten. Sie werden Teil einer Ausstellung sein, die im September im Friedhof Forum eröffnet wird. Neben ihren Projekten als selbständige Designerin ist Fässler zu 50 Prozent in einer Werbeagentur im Kanton Thurgau angestellt, wo sie auch wohnt, es sei dort sehr ländlich, erklärt sie. Dazu passt ein Mais-Labyrinth, das ihr Arbeitgeber diesen Sommer zum fünften Mal durchführt. Sie lacht. Ausserdem wird sie auch in einem Reitlager aushelfen. Alles ganz geerdete Tätigkeiten also.