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Medienschau April 2021

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Die Medienschau von palliative zh+sh gibt Einblick in die Berichterstattung zu Palliative Care und verwandten Themen des vergangenen Monats. (Bild: gme)

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Die Medienschau ist eine Momentaufnahme eines Ausschnittes der öffentlichen Diskussion zum Thema und bietet kurze Zusammenfassungen, zeigt Verknüpfungen auf und soll nicht zuletzt unterhalten und zur weiteren Lektüre der besprochenen Beiträge anregen. Wo vorhanden werden die Links zu den Beiträgen deshalb unter «Links zu den Beiträgen» aufgelistet.

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29. Mai 2021 / Medien
Die Medienberichte zu Palliative Care, Sterben und Tod und den damit verknüpften Themen hätten im April kaum vielfältiger sein können. Ein Sterbehospiz, das endlich grünes Licht erhält, das System der Fallpauschalen, das die Bedürfnisse von palliativ betreuten Menschen in Spitälern nur ungenügend abbildet, Sterbehilfe vor Gericht, die Spitalseelsorge im Wandel. Wichtig sind die Themen aber allesamt.
Es war eine gute Nachricht für den Kanton Solothurn Ende April: Das geplante Sterbehospiz in Derendingen realisiert werden. Nachdem der Kirchgemeinderat der Reformierten Kirchgemeinde Wasseramt den Umbau des ehemaligen Pfarrhauses bewilligt hat, werden dort ab 2022 sechs Hospizbetten zur Verfügung stehen. Schon seit sechs Jahren plant der Verein Sterbehospiz Solothurn das Projekt und hat inzwischen genügend Spenden sammeln können, um den Betrieb des Hospizes für die nächsten drei Jahre zu sichern. Im Interview mit dem «Regionaljournal Aargau-Solothurn» von Radio «SRF» freut sich Vereinspräsidentin Heidi Zumbrunnen, dass es im Kanton Solothurn nun bald ein Haus gebe, in dem man selbstbestimmt, gut gepflegt und betreut sterben könne. «Es soll ein Raum sein, um in Ruhe Abschied nehmen zu können.» Sterbehilfe wird im geplanten Hospiz keine geleistet, vielmehr ist es gedacht für Personen, die nicht im Spital sterben möchten.
«Das Leben gewinnt an Kraft und verliert Angst, wenn wir im Bewusstsein leben, dass es eines Tages vorbei sein wird.» Roland Kunz, Palliativmediziner

Das Strassenmagazin «Surprise» widmet sich in einem vielschichtigen Artikel dem Tod mit einem Memento Mori. Die Pandemie verdeutliche, wie radikal wir den Tod aus unserem Alltag verdrängten. Selbst wer sich in Spitälern und Pflegeheimen bewege, in denen 80 Prozent aller Menschen stürben, sehe kaum je einen toten Menschen. «Verstorbene verschwinden rasch und unauffällig durch Hinterausgänge und Tiefgaragen. Wir schauen weg, so gut es eben geht.» Die Angst vor dem Sterben, kommt der Artikelautor zum Schluss, sei Teil unseres Seins, die uns bereits in den ersten Lebensjahren befalle. Die Erkenntnis, dass irgendwann unsere Eltern und auch wir selber vergehen würden, erfülle uns mit Entsetzen. «Wir alle sind getrieben vom unbewussten Versuch, unsere eigene Sterblichkeit zu negieren», so ein Zitat des US-Anthropologe Ernest Becker von 1973. 2015 schrieb der US-Sozialpsychologe Sheldon Solomon, einer der führenden Forscher auf diesem Gebiet, die Angst vor dem Tod sei eine der treibenden Kräfte hinter menschlichem Handeln.

Im Lauf des letzten Jahrhunderts wurde der Tod mehr und mehr von in den Stuben in die Spitäler ausgelagert, den Ärztinnen und Ärzten überlassen. Damit wurde das Sterben in den Wirtschaftswunderjahren mehr und mehr marginalisiert. Vor allem der tote Körper sei damals von der Bildfläche verschwunden, was sich nun während der Pandemie verstärkt habe. Die meisten Kranken starben in isolierten Abteilungen oder auf Intensivstationen. Zwar sei das Sterben in Zahlen und Statistiken präsent, aber noch unsichtbarer geworden. Doch die Bedürfnisse nach Unterstützung und Anteilnahme sind geblieben.
Gemäss Palliativmediziner Roland Kunz reagieren die meisten Menschen auf die Diagnose einer lebensbedrohlichen Erkrankung zunächst mit Entsetzen. Er sehe jedoch, wie die Angst vor dem Sterben für viele immer kleiner wird, je näher der Tod komme. Es sei eine Art Reifeprozess. Sterben sei auch eine Kunst des Loslassens, die man am besten übe, solange man noch mitten im Leben stehe. «Der Gedanke an den Tod muss nicht nur Angst auslösen. Das Leben gewinnt an Kraft und verliert Angst, wenn wir im Bewusstsein leben, dass es eines Tages vorbei sein wird.»

«Die Pandemie hat die Spitalseelsorge sichtbarer gemacht.» Lisa Palm und Sabine Zgraggen, katholische Spital- und Klinikseelsorge Kanton Zürich

Die Pandemie hat vieles beeinflusst. Auch die Spitalseelsorge steht vor einem Wandel. «Eine Herausforderung stellt die gesundheitspolitische Strategie ‹ambulant vor stationär› dar. Immer häufiger werden komplexe Behandlungen ambulant angeboten und schwerkranke Patientinnen und Patienten – zum Beispiel in Palliative Care – durch spezialisierte Behandlungsteams zuhause gepflegt und behandelt», schreiben Sabine Zgraggen und Lisa Palm, letztere ist Vorstandsmitglied von palliative zh+sh in der «Schweizerischen Kirchenzeitung». Es gelte, neue Formen einer zukunftsgewandten ambulanten Seelsorge in Zusammenarbeit mit den Pfarreien zu entwickeln. Die Pandemie habe die Spitalseelsorge sichtbarer gemacht, die sich als verlässlicher, professioneller Gesundheitsberuf etabliert und weiterentwickelt habe. «Für das Gesamterscheinungsbild der Kirche trägt diese anerkannte Dienstleistung auch bei Kirchenfernen und Fachpersonal viel Gutes bei.»


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Licht im Schatten. Das ist etwas, das der reformierte Pfarrer Andreas Haas bei der Begleitung von Trauernden und Sterbenden immer wieder erlebt. Trauer und Tod könnten auch Dankbarkeit und Gelöstheit beinhalten, sagt der Zuger Pfarrer in einem Artikel in der «Luzerner Zeitung» (Artikel kostenpflichtig). Bei der Begleitung Sterbender wie Trauernder sei die Haltung wichtig. «Es ist wichtig, da zu sein, präsent zu sein. Wahrzunehmen, was der jeweilige Mensch braucht.» Trauer und Tod könnten auch Dankbarkeit und Gelöstheit beinhalten.

Nicht immer brauche es Worte an einem Sterbebett. Manchmal sei eine präsente Stille besser. Der 57-Jährige ist überzeugt, dass auch demente Menschen diese Präsenz spüren. Vorbereiten auf die Sterbe- und die Trauerbegleitung könne man sich nie, die Situation sei entscheidend. Die Grundhaltung der Stille hält er aber für zentral, wenn man auf verzweifelte Angehörige trifft. «Den Schmerz kann ich den trauernden Angehörigen nicht nehmen, aber ich kann ihn mit aushalten.» Er könne auch Wut auf Gott teilen. Auch einem Sterbenden könne er die Angst nicht nehmen, aber er könne ihn ernst nehmen in seiner Angst.

Haas setzt sich als Stiftungsratspräsident im Hospiz Zentralschweiz ein, wo sich Sterbende und ihre Angehörigen zu Hause fühlen sollen. Die einzigen ständigen Bewohner im Hospiz sind zwei Katzen. Katzen seien gute Sterbebegleiter, die Ruhe in das Geschehen brächten und ein Gespür für den Tod hätten. Er stellt fest dass auch diese beiden Tiere seit der Eröffnung im Januar 2020 eine Prozess durchgemacht haben. Einer der beiden Kater setze sich inzwischen auf die Betten der Verstorbenen, als ob er Totenwache hielte. Wo es um Sterben und Tod gehe, sei auch Licht, so der Pfarrer. «Und ich empfinde es als enormes Geschenk, Sterbende begleiten und Trauernde trösten zu dürfen.»
«Das Gemeingut Gesundheit alleine Wettbewerb und Markt auszusetzen, das geht schief.» Annina Hess-Cabalzar, Akademie für Menschenmedizin

Palliativ betreute Menschen kann man nicht abhandeln wie das Einsetzen einer Knieprothese. Zu diesem Schluss kommt ein Artikel in der «Wochenzeitung», in dem auch unsere Geschäftsleiterin Monika Obrist zu Wort kommt. Auf Palliativstationen werden im Idealfall unheilbar kranke Menschen bis zu ihrem Tod begleitet. Doch es kommt vor, dass sie kurz bevor sie sterben, in ein Heim verlegt werden. «Für die Betroffenen und ihre Angehörigen ist das höchst traumatisch», erklärt Monika Obrist. Der Grund ist rein finanzieller Natur. Denn wenn Palliativpatientinnen und -patienten länger leben als erwartet, wird ihre Behandlung zu einem Minusgeschäft für das Spital. «Defizite durch Langlieger», heisst das in der Branche. Das Personal und auch die Spitäler täten ihr Möglichstes, um Verlegungen am Lebensende zu vermeiden, so Obrist. Doch weil Palliativstationen grundsätzlich kaum profitabel und deshalb latent von einer Schliessung bedroht seien, könnten sie sich defizitäre Behandlungen kaum leisten. Ein Anreizsystem sei in der Palliative Care höchst unethisch.

Gemeint sind die Fallpauschalen, die 2007 im Zuge der gleichzeitig beschlossenen Liberalisierung der stationären Gesundheitsversorgung eingeführt wurden. Von Spitälern als konkurrierenden Unternehmen und stationären Spitalbehandlungen als normierten und damit vergleichbaren Produkten, versprach sich das Parlament tiefere Kosten, bessere Qualität und höhere Transparenz. Weit gefehlt, sagt auch Annina Hess-Cabalzar von der «Akademie für Menschenmedizin». Betroffen sei nicht nur die Palliativmedizin. Fallpauschalen erzeugten nämlich ganz grundsätzlich Druck, Patientinnen und Patienten zu früh zu entlassen. In verschiedenen medizinischen Bereichen lägen Fallpauschalen und effektiv anfallende Kosten weit auseinander. Deshalb seien manche Behandlungen häufig oder gar grundsätzlich defizitär.
Gleichwohl sind Bund und BAG vom Erfolg des Systems überzeugt. In der aktuellen Systemevaluation habe sich die Zweckmässigkeit der Massnahmen (…) im Bereich der Spitalfinanzierung bestätigt.
Dieser Meinung ist auch die Swiss DRG AG, die das Fallpauschalenmodell im Auftrag der Versicherer und Kantone operativ betreibt. Es habe zu qualitativen Verbesserungen und zuletzt gar zu einer Kostensenkung geführt, sagt Simon Hölzer von Swiss DRG. Doch es brauche noch mehr «direkten Wettbewerb» zwischen den Spitälern. Annina Hess-Cabalzar hingegen fordert ein System, das nicht den Gewinn, sondern die Patientinnen und Patienten in den Mittelpunkt stelle. «Das Gemeingut Gesundheit alleine Wettbewerb und Markt auszusetzen, das geht schief.»


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Sterbehilfe war im April ein grosses Thema. Zum einen in den deutschen und österreichischen Medien, wo nach einem Konsens regelrecht gerungen wird. Zum anderen wurde Ende April der Fall der Basler Sterbehelferin und Hausärztin Erika Preisig erneut verhandelt. Die 62-Jährige ist Präsidentin der Sterbehilfeorganisation Eternal Spirit und hat selbst schon Hunderte Personen beim Freitod begleitet. Der Fall einer 66-jährigen Frau wurde Preisig zum Verhängnis, wie die Online-Plattform «blue News» vor dem Prozess berichtete. 2016 wurde sie unter anderem wegen vorsätzlicher Tötung angeklagt, weil sie vor dem Tod der psychisch erkrankten Frau verzichtete, ein psychiatrisches Gutachten einzuholen. Zwar sprach das Basler Strafgericht sie 2019 vom Hauptanklagepunkt der vorsätzlichen Tötung frei, Preisig wurde jedoch wegen Verletzung des Heilmittelgesetzes, einem Nebenanklagepunkt, verurteilt.

Ende April stand sie erneut vor Gericht, da beide Parteien das Urteil weitergezogen hatten. Sie sei unschuldig, sagte Erika Preisig gegenüber den Medien, räumte aber ein, dass sie die Frau nicht mehr begleiten würde. Dies deshalb, weil sie «nie mehr das Schicksal eines anderen Menschen zu meinem Schicksal werden darf.» Strittig ist nach wie vor, ob die Frau zum Zeitpunkt ihres Todes urteilsfähig war. Preisig zeigte sich nach wie vor überzeugt, dass die Urteilsfähigkeit der Frau gegeben war. Dabei stützt sie sich auf ihre eigene Einschätzung sowie auf jene von Angehörigen und Fachärzten. Die Urteilsunfähigkeit hätten auch mehrere psychiatrische Gutachten von Kliniken bestätigt. Doch als die Frau den Todeswunsch äusserte, wollte kein Psychiater mehr eine Beurteilung machen. Die Frau weigerte sich zudem wegen traumatischer Erlebnisse, sich erneut begutachten zu lassen.

Inzwischen wurde Erika Preisig erneut freigesprochen. Wie «SRF» berichtet, hebt das Gericht auch das erstinstanzlich ausgesprochene vierjährige Tätigkeitsverbot bei Personen mit psychischen Erkrankungen auf. Das Urteil wegen mehrfacher Widerhandlungen gegen das Heilmittelgesetz wird bestätigt, jedoch verzichtet das Kantonsgericht verzichtet aber auf eine bedingte Freiheitsstrafe und verringert die verfügte Busse. Der Fall gilt als wegweisend für die Sterbehilfe in der Schweiz, es ist jedoch mit einem Weiterzug an das Bundesgericht zu rechnen.


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Die etwas skurrile Geschichte zum Schluss ist zwar schon etwas älter, geisterte aber im April durch die sozialen Medien. Ein amerikanisches Startup erfindet das Sterben neu. Oder zumindest das, was von einem Menschen nach dem Tod übrigbleibt, wie auf dem Online-Portal «quiio.de» zu lesen ist. Das passt zum Trend, sich möglichst nachhaltig bestatten zu lassen. Aber auch nach dem Tod verbrauchen wir Ressourcen durch Abholzung für Särge und chemische Einbalsamierung bei der Erdbestattung oder massive Co2-Immissionen bei der Verbrennung im Krematorium. Da jedoch immer mehr Menschen sich die Frage stellen, wie sie besonders nachhaltig leben können, liegt der Wunsch auch nachhaltig zu sterben nicht fern.

Das amerikanische Startup Recompose will verstorbene Menschen kompostieren und hat dazu eine Einrichtung in Seattle, Washington geplant, die es Menschen ermöglicht, ihre verstorbenen Angehörigen bei diesem Prozess des vollständigen Verschwindens von dieser Erde zu begleiten. Dahinter steckt die Idee eines geschlossenen Kreislaufs, die in der Praxis so aussehen soll: Die Verstorbenen werden ein einer offenen Stahlwanne zusammen mit Holzspänen und Stroh gebettet und bedeckt. Anschließend werden sie in Einzelzellen untergebracht, in denen durch die ungehinderte Sauerstoffzufuhr beim Zersetzungsprozess Temperaturen von rund 50-70 Grad entstehen. So können die Mikroben unter optimalen Bedingungen arbeiten, die Körper beginnen zu zerfallen. Dadurch wird kein Holz verschwendet, kein CO2 bei der Verbrennung ausgestossen. Zurückbleiben nach drei bis sechs Wochen zwei Schubkarren voll Erde, die die Angehörigen mitnehmen können.
In Deutschland, so bedauert das Magazin, sie das Kompostieren von Verstorbenen noch nicht möglich, da selbst bei der Verbrennung Sargpflicht herrsche. «Aber», so fragen sich die Autoren, «sollten wir nicht, bis es sich wieder lohnt, ewig zu leben, wenigstens umweltfreundlich sterben?»

Eine Nachrecherche zum Schluss: Ein Blick auf die Website von Recompose lohnt sich. Ende 2020 wurde das erste «Greenhouse» mit zehn Behältnissen im Staat Washington eröffnet. Weitere Staaten sind in Planung.
palliative zh+sh, Gabriela Meissner