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Medienschau August 2020

Medienschau August 2020

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Die Medienschau von palliative zh+sh gibt Einblick in die Berichterstattung zu Palliative Care und verwandten Themen des vergangenen Monats. (Bild: gme)

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Die Medienschau ist eine Momentaufnahme eines Ausschnittes der öffentlichen Diskussion zum Thema und bietet kurze Zusammenfassungen, zeigt Verknüpfungen auf und soll nicht zuletzt unterhalten und zur weiteren Lektüre der besprochenen Beiträge anregen. Wo vorhanden werden die Links zu den Beiträgen deshalb unter «Links zu den Beiträgen» aufgelistet.

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14. September 2020 / Medien
«Erinnerungen an Menschen lassen sich nicht einfach wegschieben», sagt ein Basler Hämatologe und Chefarzt, der jeden Tag schwierige Diagnosen mitteilen muss und Todesanzeigen sorgfältig aufbewahrt. Schreiben und Reden über Sterben und Tod, über Trauer oder darüber, wie man sich seine Behandlung vorstellt, wenn man sich nicht mehr mitteilen kann: Unsere Medienschau vom August ist reich an Themen. Die Trouvaillen haben wir hier zusammengestellt.

Zwei Männer, die sich beruflich kennen, verlieren im Abstand von nur wenigen Stunden ihre Ehefrauen. Und werden durch das gemeinsame Erleben und die Trauer zu Freunden. Weil beide als Journalisten tätig sind, schreiben sie darüber. Jeder aus seiner Warte. «Es gibt einen kleinen Moment des Zögerns, dann umarmen wir uns und fangen an zu weinen. Eine Barfrau sieht uns und weiss nicht, was sie tun soll. Schliesslich drückt sie uns ein paar Servietten in die Hand», schreibt Flurin Clalüna in der «NZZ» über das erste Treffen danach. Und Thomas Schifferle beschreibt im «Tages Anzeiger Magazin» die gleiche Szene fast wortgleich: «Ich warte in einem Café am Limmatplatz, als er hereinkommt. Wir fallen uns einfach um den Hals und beginnen zu weinen. Die Bedienung an der Bar drückt uns Papierservietten in die Hand. Wir müssen lachen. Es ist absurd.» Die beiden Artikel sind am gleichen Tag erschienen und mehr als lesenswert.

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Über Trauer zu schreiben oder zu sprechen, hilft bei der Bewältigung. Auch Sterbende suchen oft das Gespräch, finden jedoch kein Gegenüber. Dieses Thema untersuchen die beiden Berner Forscherinnen Corina Caduff – sie referierte letztes Jahr an unserer Fachtagung über das Thema Sterben im Internet – und Eva Soom. «Man lässt sich nicht gern auf solche Gespräche ein, weil man die sterbende Person, und auch sich selber, vor der harten Wahrheit des Lebensendes schonen will», sagt Soom im Interview mit dem «Magazin» der «Berner Zeitung» (Artikel kostenpflichtig). Da verbindliche Leitlinien fehlten, wie sie früher zum Beispiel die Kirche vorgab, müsse neu definiert werden, wie man heutzutage sterbe. «Wir leben in einer Zeit, in der Autonomie und Selbstbestimmung hohe Werte sind, die auch in der Sterbephase gelten. Es entstehen gerade ganz neue und vielfältige Möglichkeiten, wie wir das Sterben gestalten können – orientierende Vorbilder fehlen aber grösstenteils noch.» Die beiden Forscherinnen arbeiten auch mit der Zürcher Designerin Bitten Stetter zusammen. So sollen in Sterbesettings Gestaltungsimpulse gesetzt werden, um den Palliative-Care-Alltag, etwa durch neues Design von Pflegeobjekten oder Kommunikations-Tools, für Sterbende angenehmer zu gestalten. Ein Würfelset, das derzeit im Stadtspital Waid getestet wird, beinhaltet Fragen wie: Was ist dein Lieblingsgeruch? Was bedeutet für dich selbstbestimmtes Sterben? Er soll Menschen, die sich den Würfel zuspielen, helfen, ins Gespräch zu kommen. Die Bereitschaft von Sterbenden, an Forschungsprojekten teilzunehmen, sei grösser als angenommen. Man nehme sich genügend Zeit, um auf die Situation der Menschen einzugehen und dränge sich nicht auf. Viele hätten das Bedürfnis, ihre Erfahrungen mitzuteilen.

«Die Angehörigen müssen den Patienten durch die Krankheit mittragen – aber auch freigeben.» Jakob Passweg, Chefarzt Universitätsspital Basel»

Wer die Diagnose Krebs erhält, dem zieht es erstmal den Boden unter den Füssen weg. Welche Fragen die Patientinnen und Patienten umtreibt, weiss Jakob Passweg, Chefarzt am Universitätsspital Basel und Präsident von Oncosuisse. Es sei wichtig, ihnen die Schuldgefühle zu nehmen, sagt der Hämatologe in einem Interview mit der «NZZ am Sonntag» (Artikel kostenpflichtig). Man könne dem Patienten weder sein Schicksal noch sein Leiden nehmen. Auch Trost sei enorm wichtig. «Zeigen Sie einem Krebserkrankten, dass Sie verstehen, dass er in einer schwierigen Situation ist. Dass Sie für ihn da sind, die Krankheit mit ihm durchstehen.» Passweg betont im Gespräch die Rolle der Angehörigen. Sie müssten den Patienten durch die Krankheit mittragen – aber auch freigeben. «Denn heute sterben immer mehr Menschen im Spital nach einer bewussten Entscheidung, die therapeutischen Bemühungen einzustellen.» An einer Pinnwand in seinem Büro sammelt der Basler Chefarzt Todesanzeigen von Patienten. E-Mails mit den Todesmeldungen legt er in einem Ordner ab. « Die beiden Sammlungen helfen mir, mich an die Menschen zu erinnern. Sie lassen sich nicht einfach wegschieben.»


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Ein Artikel auf «ref.ch» bringt auf den Punkt, was in der Schweiz schon lange ein Fakt ist, aber nur langsam vom Fleck kommt. «Pflegende Angehörige müssen unbedingt mehr entlastet werden», sagt Alexander von der Marwitz, seit vier Jahren bei der Reformierten Kirchgemeinde Luzern tätig. Der 65-Jährige engagierte sich fast 30 Jahre lang in Süddeutschland in einem Netzwerk für Angehörige, das er mitaufbaute und letztlich zu einem landesweit beachteten Projekt mit über 200 hauptamtlichen und ehrenamtlichen Mitarbeitenden mitentwickelte. Im Fokus: Menschen unterstützen, die hilfebedürftige Angehörige versorgen. Zu den Angeboten gehörten etwa Putzdienste, Einkaufsservice, Hilfspakete nach einem Krankenhaus-Aufenthalt, Nachtpflege, Kurzzeitpflege, Begleitung zum Arzt oder zum Kaffeekränzchen, Beratung von pflegenden Angehörigen, niederschwellige Wohnangebote und: Sterbebegleitung zu Hause, eingebettet in das Versorgungsnetz. «Diese Dienstleistungen waren Bausteine, die alle aus einer Hand kamen. So konnte schnell und gezielt genau das angeboten werden, was gerade nötig war» erklärt von der Marwitz. So haben man Zeit, Kraft und Geld sparen können, auch deshalb, weil Betreuungsbedarf sich schnell ändern könne. Finanziert wurden die Leistungen über die Pflegeversicherung und durch an das Einkommen angepasste Eigenleistungen. Die Schweiz solle den Blick über den Tellerrand wagen, um Konzepte zu finden, die an die schweizerischen Bedürfnisse angepasst werden könnten, schlägt von der Marwitz vor. Dabei könnten die Kirchen Modellprojekte lancieren und verantworten. «Gemeinsam könnten wir zum Beispiel ein Hospiz aufbauen, also ein Gästehaus auf unserer letzten Reise.»


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Über ein Hospiz verfügt seit Ende August der Kanton Glarus, genauer über drei Hospizzimmer im Alters und Pflegeheim Salem in Ennenda. Dort können unheilbar kranke Menschen die letzte Phase ihres Lebens verbringen. «Die spezialisierte Palliative Care-Abteilung ermöglicht den Patientinnen und Patienten, gemeinsam mit nahestehenden Bezugspersonen in Würde voneinander Abschied zu nehmen. Selbstbestimmend, soweit als möglich ohne Schmerzen und Belastungen soll die schwerkranke Person im Hospiz leben und in Geborgenheit sterben können» , schreibt die Online-Plattform «glarus24» in einem Artikel. Das «Hospiz im Salem» solle zu einem Ort der Begegnung werden, sagte Zentrumsleiterin Christine Bickel bei der Eröffnung. Angehörige und Bezugspersonen der Patientinnen dürfen über Nach bleiben. Vorderhand läuft das Hospiz dank einer Finanzspritze des Kantons als Pilotprojekt für vier Jahre. Nun sind die Verantwortlichen auf der Suche nach Spenden.

«Wir müssen uns fragen, welche Haltung eine Gesellschaft gegenüber kranken und leidenden Menschen entwickelt.» Ruth Baumann-Hölzle, Leiterin des Instituts Dialog Ethik

Noch nie haben in der Ostschweiz so viele Menschen Suizidbeihilfe in Anspruch genommen, wie im vergangenen Jahr. In den vier Ostschweizer Kantonen wählten 99 Personen den begleiteten Freitod, was nahezu einer Verdoppelung gegenüber dem Vorjahr gleichkommt. Im «St. Galler Tagblatt» äussert sich Ruth Baumann-Hölzle, Leiterin des Instituts Dialog Ethik kritisch zu dieser Entwicklung. Sie stellt fest, dass der Entscheid, ob das Leben sinnlos ist, in anderen Ländern weniger häufig gefällt wird und streicht eine gefährliche Entwicklung heraus: «Wir müssen uns fragen, ob und, wenn ja, welche Rolle die Suizidbeihilfe bei unserer hohen Suizidrate spielt. Und wir müssen uns fragen, welche Haltung eine Gesellschaft gegenüber kranken und leidenden Menschen entwickelt.» Es bestehe die Gefahr, dass Betroffene sich rechtfertigen müssten, warum sie denn noch am Leben sind, wenn doch die Möglichkeit bestehe, effizient und kostensparend aus dem Leben zu scheiden. Die zentrale Frage sei, wie man in einer sehr stark ökonomisierten Gesellschaft den Lebensschutz von stark eingeschränkten oder abhängigen Menschen aufrechterhalten könne. In der Coronapandemie habe man das kurzfristige Überleben priorisiert, das habe sie überrascht. «Einerseits sind wir bereit, die Lebensqualität von alten und eingeschränkten Menschen massiv einzuschränken, ohne sie zu fragen, ob sie mit solchen Schutzmassnahmen überhaupt einverstanden sind. Gleichzeitig aber weiten wir die Suizidbeihilfe aus mit der Begründung der Lebensqualität von Menschen, deren Leben sich noch nicht dem Ende zuneigt.»


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Die Schweizer Sterbehilfeorganisation Exit will künftig keine Auslandschweizer als Mitglieder aufnehmen sie damit von der Sterbehilfe durch Exit ausschliessen. Wie das Nachrichtenportal «nau.ch» schreibt, will die Organisation künftig nur urteilsfähige Personen ab 18 Jahren als Mitglieder aufnehmen, «sofern sie Wohnsitz in der Schweiz haben». Über die entsprechende Statutenänderung soll die Generalversammlung im kommenden Jahr entscheiden. Grundsätzlich habe jedes Mitglied Anrecht auf Abklärungen für eine Freitodbegleitung, wird Exit-Sprecher Jürg Wiler im Artikel zitiert. Wohne ein Mitglied im Ausland könne dies nur mit sehr grossem Aufwand seriös erfüllt werden. Grosse Distanzen, eventuell die Zeitverschiebung, das Einholen von Arztzeugnissen und Spitalberichten in fremden Sprachen seien weitere Gründe. Zudem müssten schwerkranke Mitglieder in die Schweiz transportiert werden, da nur hier eine Freitodbegleitung legal durchgeführt werden könne.


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Es ist möglich, einen Menschen, der ohne künstliche Beatmung und Ernährung längst gestorben wäre, lange am Leben zu erhalten. Aber ist es auch sinnvoll? Dieser Frage geht das ZDF-Magazin «37 Grad» nach. Es porträtiert den 65-jährigen Benedict Mülder, bei dem 2009 Amyotrophe Lateralsklerose (ALS) diagnostiziert wurde. Seit neun Jahren liegt er bewegungslos im Bett, seine Stimme hat er irgendwann verloren. Bis vor vier Jahren konnte er immerhin noch mit den Augen einen Sprachcomputer steuern, aber mittlerweile ist keinerlei Kommunikation mehr möglich. Mülders Ehefrau hat dafür gesorgt, dass er weiterhin so gut wie möglich am Familienleben teilnehmen kann. Sein Pflegebett steht im Wohnzimmer, Freunde kommen vorbei und trinken ein Bier an seinem Bett. Hin und wieder besucht sie mit ihm – allen Anstrengungen zum Trotz – eine Veranstaltung. Solange er noch kommunizieren konnte, empfand er sein Leben als lebenswert. Ob er das heute, vier Jahre später, auch noch so empfindet, darüber kann sie nur mutmassen. Er habe sich immer für das Leben entschieden, sagt seine Frau. Nun muss sie für ihn entscheiden; und das bestmöglich in seinem Sinn. Vor solchen Entscheidungen stehen häufig auch Mediziner wie Johannes Kalbhenn, der ebenfalls im Film porträtiert wird. Als Oberarzt einer Intensivstation behandelt er Patienten, die sich nie damit auseinandergesetzt haben, unter welchen Bedingungen sie trotz Einschränkungen weiterleben wollen oder nicht. Oder aber die Patientinnen können sich nicht mehr äussern. Dann wird es noch komplexer, insbesondere dann, wenn keine Patientenverfügung vorliegt. Es gebe nie eine hundertprozentige Gewissheit, ob eine getroffene Entscheidung wirklich im Sinne des Patienten sei.

«Sterben zu Hause» ist in der Region Mecklenburgische Seenplatte zu einer Selbstverständlichkeit geworden.

Eine schöne Geschichte zum Schluss kommt aus Deutschland, wo es seit zwölf Jahren ein gesetzliches Recht gibt, zu Hause sterben zu können. In ländlichen Gegenden bleibt dieses Recht aber meistens auf der Strecke, weil es an Versorgungsstrukturen mangelt. Ausgerechnet in Mecklenburg-Vorpommern, dem am dünnsten besiedelten Bundesland, gibt es an der Mecklenburgischen Seenplatte eine Ausnahme. Dazu muss man wissen, dass in zwei Dritteln der Landkreise keine palliativmedizinischen Versorgungsteams gibt. «Deutschlandfunk Kultur» porträtiert eine Hausärztin aus Waren an der Müritz, die Teil des lokalen Palliativteams ist. Gerade im ländlichen Bereich sei die Einstellung zum Sterben anders, sagt Katrin Schützler-Zeitz. Wer sein Leben auf einem Bauernhof verbracht habe, dem falle es besonders schwer, wenn er am Lebensende ins Krankenhaus müsse. Damit in dieser Situation das «Sterben zu Hause» nicht zu einem unkalkulierbaren Abenteuer werde, müsse einiges gewährleistet sein, etwa, dass dauerhaft Pflegepersonen oder Angehörige da sind und dass Pflegedienst oder die palliativmedizinischen Dienste regelmässig reinschauten. Gerade die Angehörigen seien stark gefordert, weil die Anfahrtswege für Ärztinnen und Pflegekräfte lang seine und diese nicht sofort reagieren könnten, wenn es Probleme gibt. Doch Schützler-Zeitz hat gute Erfahrungen damit gemacht. «Das ist mit den meisten Angehörigen auch gut zu machen. Sie müssen wissen, welches Medikament sie verabreichen können, wenn zum Beispiel Unruhe auftaucht. Und wenn sie dann nicht weiterkommen, haben sie die Rufnummer, die sie rund um die Uhr anrufen können.»
Andrea Morgenstern als Leiterin des Kreisverbands hat es zusammen mit ihrem DRK-Team geschafft, die dünn besiedelte Region um Waren an der Müritz palliativmedizinisch auf Großstadtniveau zu bringen. Sie hätten noch nie eine Anfrage ablehnen müssen, sagt sie. Mit ein wichtiger Grund, dass es in diesem Landstrich so gut funktioniert, liegt auch darin, dass das Deutsche Rote Kreuz auf über 50 freiwillige Mitarbeiter zurückgreifen kann. Es sei durch aus möglich, dass der der ehrenamtliche Hospizbegleiter mehrere Stunden bis zum letzten Atemzug da sei, wenn es ums Sterben gehe. «Sterben zu Hause» ist in dieser Region zu einer Selbstverständlichkeit geworden. Fast 200 Menschen begleitet das DRK-Team pro Jahr in der häuslichen Umgebung.
palliative zh+sh, Gabriela Meissner