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Medienschau Mai 2020

Medienschau Mai 2020

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Die Medienschau von palliative zh+sh gibt Einblick in die Berichterstattung zu Palliative Care und verwandten Themen des vergangenen Monats. (Bild: gme)

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Die Medienschau ist eine Momentaufnahme eines Ausschnittes der öffentlichen Diskussion zum Thema und bietet kurze Zusammenfassungen, zeigt Verknüpfungen auf und soll nicht zuletzt unterhalten und zur weiteren Lektüre der besprochenen Beiträge anregen. Wo vorhanden werden die Links zu den Beiträgen deshalb unter «Links zu den Beiträgen» aufgelistet.

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12. Juni 2020 / Medien
Hat die Corona-Krise einen neuen Diskurs über den Tod angeschoben? Und: Sind es die richtigen Fragen, um die sich die Debatte dreht? Die Lockerungen nach langen Wochen ohne Besuch und Ausgehmöglichkeiten für Bewohnende von Langzeitinstitutionen haben die Medien im Mai beschäftigt. Auch ausserhalb von Covid-19 werden wieder Themen aufgegriffen, welche Rolle Palliative Care in der Psychiatrie übernehmen kann und soll.
Nach der überraschend schnellen Lockerung beim Besuchsverbot in Alters- und Pflegeheimen Ende April, ging der Kanton Zürich im Mai noch einen Schritt weiter und lockerte auch das Ausgehverbot der Heimbewohnerinnen und -bewohner. Die Auflagen sind allerdings so streng, dass sie für die meisten kaum umsetzbar sind. Man habe verzweifelte Anfragen von Heimen erhalten, denn viele Angehörige wünschten sich, ihre Verwandten wieder einmal auf einen Ausflug mitnehmen zu können, erklärt Kantonsärztin Christiane Meier gegenüber der Nachrichtensendung «10vor10) Gemäss den neuen Anordnungen des Kantons ist das Ausgehen mit Maske erlaubt, doch muss bereits jeder Spaziergang bei der Heimleitung angemeldet werden. Eine Begleitperson ist nötig, die kontrolliert, ob die Abstands- und Hygienemassnahmen eingehalten werden. Nach der Rückkehr muss die Bewohnerin während zehn Tagen stets eine Schutzmaske tragen. Das sei so kurzfristig kaum umsetzbar, kritisiert der Zürcher Curaviva-Präsident André Müller. Es sei schwierig, den Bewohnenden eine zehntägige Maskentragpflicht zu verordnen. Das funktioniere höchstens bei sehr mobilen Menschen, mit den meisten müsse dies jedoch trainiert werden. Die Kantonsärztin verteidigt die strengen Auflagen, diese seien insbesondere den besonders vulnerablen Menschen in den Pflegeheimen geschuldet. Für Menschen mit Demenz bedeuten die strengen Auflagen in den meisten Fällen, dass sie auch weiterhin in den Heimen bleiben müssen.

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Passend dazu ein Artikel in der «NZZ», in dem die Situation der Schutzmassnahmen für die Risikogruppen aus verschiedenen Blickwinkeln aufgezeigt wird. So warnt etwa Frank Ruschitzka, Direktor der Klinik für Kardiologie am Universitätsspital Zürich davor, «Betagte in ihren Appartements im Altersheim einzusperren». Die Erkenntnisse der letzten Monate haben aufgezeigt, dass Covid-19 nicht in erster Linie nur eine Lungenkrankheit, sondern eine Gefässerkrankung ist. Für gesunde Gefässe könne man selbst sorgen, indem man nicht rauche und sich viel bewege, sagt der Experte. Viel Bewegung sei auch für alte Menschen wichtig, was durch das Ausgehverbot aber verhindert wird. Sie fühle sich wie eingemauert, sagt Heimbewohnerin Helena Suter, die trotz ihrer Erkrankung vor dem Ausgehverbot viel unterwegs war. Im Alterszentrum Laubegg, in dem sie wohnt, geht es aufs Portemonnaie. Wer sich nicht ans Ausgehverbot hält, muss während zehn Tagen im Zimmer bleiben und die zusätzlichen Serviceleistungen für Mahlzeiten, die aufs Zimmer gebracht werden müssen, extra bezahlen. Altersmedizinerin Heike Bischoff-Ferrari plädiert dafür, dass Hausärzte älteren Menschen eine Art Greencard ausstellen, wenn diese ein tieferes Infektionsrisiko haben. Institutionen stünden vor einem Dilemma, denn selbst wenn ein einzelner Bewohner bereit ist, ein gewisses Risiko für sich in Kauf zu nehmen, gelte es doch auch immer das Umfeld zu schützen.

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Das Dilemma der Institutionen zeigt sich auch in der Anzahl Todesfälle. In der Schweiz sind bis Mitte Mai 1850 Menschen an Covid-19 gestorben, 56 Prozent der Patientinnen und Patienten starben in Alters- und Pflegeheimen, 43 Prozent in Spitälern, wie aus einem Artikel der an «Newsnet» angeschlossenen Zeitungen hervorgeht. 10 Prozent der Verstorbenen waren jünger als 70. Der Artikel kommt zum Schluss, dass die These, alle Covid-19-Opfer seien alt und krank und hätten sowieso bald sterben müssen, so nicht stimmt. Gemäss dem Basler Pathologen Alexandar Tzankov fallen nur gerade ein Viertel der in diesem Zusammenhang obduzierten Verstorbenen in diese Kategorie. rund ein Viertel der Obduzierten zu dieser Gruppe. Sie waren meist sehr alt und hatten fortgeschrittene Tumore oder schwere neurologische Erkrankungen. Die übrigen Patienten wiesen weniger gravierende Risikofaktoren auf und hätten mit entsprechenden Medikamenten und entsprechendem Gesundheitsverhalten noch mehrere Jahre leben können. «Auch in Zeiten der Corona-Pandemie dürfen Menschen aufgrund ihres Alters nicht marginalisiert werden», fordert Pathologe Tzankov.
«Auf diese Weise möchte niemand sterben.» Volker Eschmann, Seelsorger

«Mit den ersten Corona-Patienten im Spital bekam das Hässliche dieser Krankheit für mich ein konkretes Gesicht.» Volker Eschmann, Seelsorger am Kantonsspital Aarau, sagt im Interview mit der «Coop Zeitung» auch, dass er kein Verständnis habe für jene, die sich der Krankheit gegenüber gleichgültig verhalten. «Denn auf diese Weise will niemand sterben.» Eschmann erzählt, dass es vor Corona vorgekommen sei, dass ein Patient ihm auf den Kopf zu sagte, er habe kein Interesse an einem Gespräch. In solchen Fällen habe er gute Besserung gewünscht und sich verabschiedet. Seit der Corona-Krise habe er das nicht mehr erlebt. «Den Menschen fällt die Decke auf den Kopf. Sie haben keinen Besuch mehr – und zwar alle, nicht nur Covid-19-Patienten. Deshalb nehme ich bei den Patienten eine verstärkte Dankbarkeit wahr, dass ein Mensch für sie da ist, mit dem sie sprechen können», erzählt der 56-jährige Seelsorger. Er verstehe seine Aufgabe als begleiten, Raum geben, mit dem Menschen nach seinen Kraftquellen und Ressourcen suchen. «Es ist nicht meine Aufgabe zu werten und ganz sicher nicht jemandem etwas überzustülpen und aufzuzwingen.»

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Ein Lied von Reinhard Mey, die Stimmen von Verwandten abspielen, einen Psalm vorlesen: Die Pandemie verlangte nach kreativen Ideen im Umgang mit Erkrankten und Sterbenden. Eine Seelsorgerin am Zürcher Universitätsspital, die Pfarrerin Susanna Meyer Kunz, wurde zur Vermittlerin zwischen den Erkrankten und Sterbenden hier und den Angehörigen draussen. Auch wenn die Covid-19-Patienten oftmals sediert waren, waren Reaktionen spürbar. Meyer Kunz erinnert sich im Gespräch mit «SRF», wie sie einem Patienten die Aufnahme eines Klavierstücks, aufgenommen von dessen Tochter, abspielte. «Wir konnten beobachten, dass sich der Puls des Patienten beim Klavierspiel erhöht hat.» Auf die Frage, was sie selbst mitnehme aus dieser Zeit, sagt die Seelsorgerin: «Die eigene Betroffenheit.» Der Übergang von krank und gesund habe mit Covid-19 nochmals eine neue Dimension erhalten.

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Der Lockdown stoppte auch den Sterbetourismus, für den die Schweiz bekannt ist. Verschiedene Sterbewillige aus Österreich und Deutschland forderten in einem Artikel, der Anfang Mai in der «Aargauer Zeitung» erschienen ist, dass die Schweiz die Grenzen für solche Ausnahmefälle öffnen soll. Lotte Ingrisch, Schriftstellerin aus Österreich, kämpft seit Jahren dafür, dass Sterbehilfe auch in ihrer Heimat legalisiert wird. Ihr Leben sei leergebrannt, erklärt die 90-Jährige ihren Sterbewunsch, den sie sich bei der Liestaler Sterbehilfeorganisation «Eternal Spirit» erfüllen will. Bereits vor einigen Jahren versuchte sie sich, das Leben zu nehmen, wurde dadurch zum Pflegefall. Letzteres will die 68-jährige Bayerin Ilse Auerbeck verhindern. Von Geburt an blind, verlor sie vor zwei Jahren ihren Mann. Seither sei ihre Lebensqualität nicht mehr dieselbe, deshalb wolle sie ihr Leben selbstbestimmt beenden. Die Behörden erwägen derzeit, ob Suizidhilfe als «Situation der äussersten Notwendigkeit» gewertet werden kann, zu denen eine «notwendige medizinische Behandlung» zählt. So oder so – wenn am 15. Juni die Grenzen öffnen, wird die «Swiss Option», wie es in einschlägiger Ratgeberliteratur heisst, wieder zur «Normalität» .
«Die eigentliche Frage ist, wer überhaupt wie lange mit schweren Krankheiten noch leben möchte».

Corona hat einen nicht zu vernachlässigenden Nebeneffekt: Noch nie wurde so viel über den Tod und das Sterben diskutiert. Das hat auch «Die Welt» in einem Kommentar festgestellt. Doch finde die Debatte darüber statt, ohne «ernsthaft darüber zu sprechen, wie wir gehen wollen, wenn wir gehen». Stattdessen drehe sich der Diskurs um gesundheitsökonomische Versorgungsaspekte wie in einer Technokratie: wie viele Intensivbetten und Beatmungsgeräte zur Verfügung stehen und wessen Leben es wert sei, mit Hilfe dieser Technik gerettet zu werden. Statt über knapp werdende Beatmungsgeräte gehe es um eine wesentlich wichtigere Frage, um die unsere Gesellschaft seit Jahren, schon lange vor Corona, deutlich zu ängstlich herumtänzelt. Nämlich, wer überhaupt wie lange mit schweren Krankheiten noch leben möchte. «Wir müssen lernen, wie das Sterben funktioniert», fordert der Beitrag. «Stattdessen tun wir so, als könnten wir den Tod wegtechnisieren.» Sterben sei eine Fertigkeit, die uns abhandengekommen scheine. Sie wieder zu erlernen, würde dem Abschiednehmen und dem Ende des Lebens seinen Schrecken nehmen.

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Bislang stand Palliative Care in erster Linie mit einer somatischen Erkrankung in Zusammenhang. Die «Frankfurter Allgemeine Zeitung» greift die Thematik der Palliativpsychiatrie auf. Diese noch junge medizinische Disziplin geht davon aus, dass nicht jedes psychische Leid ausreichend behandelt werden kann. Das Beispiel eines Schizophrenie-Patienten, dessen Erkrankung dazu führt, dass er Zigarettenstummel isst, die andere auf den Boden geworfen haben. Entsprechend nehmen ihm Ärzte und Pfleger die Stummel immer wieder ab. Sein ohnehin schwieriger seelischer Zustand gerät aus dem Gleichgewicht, er muss fixiert werden. Die Verantwortlichen fragen sich, was denn schlimmer ist. Das Fixiert werden oder das Risiko, dass er irgendwann vielleicht doch zu viele Stummel ist und an einer Nikotinvergiftung stirbt. Man beschliesst, ihm, statt ihn vom Essen der Stummel abzuhalten, eine tägliche kontrollierte Ration zuzuteilen. Die Psychiatrie tue sich sehr schwer damit tut, einzugestehen, dass sie bei manchen Patienten die psychische Erkrankung nicht werde bessern können, erklärt Anna Westermair, Fachärztin für Psychosomatik und Palliativmedizin an der Uniklinik Lübeck. «Wenn in der Psychiatrie junge oder mittelalte Patienten sterben, ist das ein maximaler Misserfolg. Ich erlebe das bei Kollegen, die empfinden das als Katastrophe.» Die Psychiatrie müsse lernen auszuhalten, «dass wir Wege beschreiten, die mit einer kleinen Risikoerhöhung für eine Lebenszeitverkürzung einhergehen, wenn wir dafür eine große Lebensqualitätsverbesserung für unsere Patienten erreichen».

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Zu guter Letzt eine Meldung in eigener Sache: Verschiedene Medien berichteten über den Wechsel an der Verbandsspitze von palliative ch. Nach dreieinhalb Jahren hat die bisherige Präsidentin Monika Obrist ihr Amt an die Tessiner Ständerätin Marina Carobbio Guscetti übergeben. Bis 2019 war Carobbio zwölf Jahre im Nationalrat tätig, wo sie sich für Themen wie das Gesundheitssystem, die Umwelt und die Gleichstellung der Geschlechter engagierte. Als Ärztin war sie in der Palliativmedizin tätig, unter anderem für das «Hospice Ticino», im Istituto oncologico della Svizzera italiana oder als Hausärztin. Monika Obrist hat ihr Engagement auf nationaler Ebene immer als Engagement für die Betroffenen betrachtet, wird sie auf «kath.net» zitiert.
palliative zh+sh, Gabriela Meissner