Sie arbeiten am Zentrum für integrative Onkologie. Was bedeutet integrative Onkologie?
Im Kern bedeutet das, dass wir Brücken schlagen zwischen klassischer und komplementärer Onkologie. Aus einer Hand, mit dem gleichen Team und unter einem Dach. Wir bieten in erster Linie eine ganz klassische onkologische Behandlung an und kombinieren diese mit ausgewählten Methoden der Komplementärmedizin. In unserem Zentrum arbeiten klassische Onkologen, die in grossen Spitälern tätig waren – und dann eine ergänzende Ausbildung in komplementärer Medizin gemacht haben.
Welche Methoden der Komplementärmedizin eignen sich besonders bei der Behandlung von Krebspatienten?
In unserem Zentrum konzentrieren uns vor allem auf die anthroposophische Medizin, die Phytotherapie und orthomolekulare Medizin, also die Anwendung von Vitaminen, Mineralstoffen und Spurenelementen sowie die Ernährungsmedizin.
Und dabei ist Komplementärmedizin nicht gleich Alternativmedizin.
Ja, das ist ein wesentlicher Unterschied, den man umgangssprachlich oft nicht macht. Alternativmedizin ist, wie der Name sagt, eine Alternative zur klassischen, herkömmlichen Medizin. Integrative oder komplementäre Medizin ergänzt die klassische Medizin.
Wo wird die Komplementärmedizin in erster Linie angewendet?
Eigentlich in allen Bereichen der Onkologie. Ein Schwerpunkt ist die Verbesserung der Lebensqualität beispielsweise unter einer Chemotherapie. Dann aber auch im Bereich der Palliativmedizin. Dort kann man etwa die Schmerzbewältigung verbessern oder Atemnot lindern.
Welche Menschen wählen integrative Onkologie?
Wir wissen aus vielen Untersuchungen, dass chronisch Kranke häufig zusätzlich zu ihrer klassischen eine komplementäre Behandlung wünschen. Das sind inzwischen etwa 70 Prozent im onkologischen Bereich. Daher kommen jene Menschen zu uns, die einen längeren Krankheitsprozess haben und aufgrund der chronischen Krankheit eine ergänzende Medizin suchen.
In der Palliative Care wird heute vermehrt Komplementärmedizin genutzt.
Ja. Wir wenden sie in allen Stadien der Tumorerkrankung an. Von einer kurativen bis hin zur palliativen Betreuung, wenn die Krankheit fortgeschritten ist.
Ihre Klink arbeitet ambulant und mit einer Tagesklinik. Was geschieht mit den Patienten, wenn sie nicht mehr selbständig leben können, sondern auf eine stationäre Betreuung in einem Spital oder Hospiz angewiesen sind?
Zu den umliegenden Spitälern und Palliativeinrichtungen haben wir sehr engen Kontakt. Wir tauschen uns regelmässig aus und bleiben auch mit dem Betroffenen in Kontakt. Zudem ist unsere Arbeit mit den ambulanten Diensten intensiv. Die Mitarbeitenden der Kernteams kennen wir persönlich. Wir unterstützen unsere Patienten also auch, wenn sie nicht mehr in die Praxis kommen können.
Ist diese Unterstützung in den Spitälern überhaupt erwünscht?
Meine Wahrnehmung ist, dass wir mit unseren Patienten eine lange und vertrauensbildende Beziehung aufgebaut haben und dass, wenn eine grundsätzliche Entscheidung ansteht, unsere Meinung eingeholt wird. Dies ist für alle Beteiligten hilfreich.
Werden die Kosten für die komplementären Anwendungen von der Grundversicherung übernommen?
Die Kosten für jene Komplementärmethoden, die wir in unserem Zentrum anwenden, werden von der Grundversicherung übernommen. Das ist aber längst nicht bei allen Institutionen und Anwendungen so.
Wie sehen Sie die Zukunft der Komplementärmedizin in der Palliative Care? Ist sie einfach im Moment grad «in» oder wird sie künftig noch öfter angewandt?
Ich glaube nicht, dass sie eine Modeerscheinung ist. Diese Bewegung gibt es seit vielen Jahrzehnten und wird immer mehr in Anspruch genommen. Komplementärmedizin findet zudem immer grössere Akzeptanz in der klassischen Medizin. Sie trifft genau das, was die Menschen in diesen palliativen Situationen wollen – nämlich sich ganzheitlich behandelt wissen. Sie möchten, dass sie eine hervorragende schulmedizinische Betreuung erhalten und dass sie aus dem Bereich der komplementären Medizin Unterstützung bekommen. Ich glaube, je weiterentwickelt eine Gesellschaft ist, desto mehr Menschen wollen genau diese Art der Behandlung.
In der Schulmedizin ist also die Skepsis weniger gross als noch vor ein paar Jahren?
Hier beobachte ich grosse Unterschiede. Es gibt jedoch zunehmend Onkologen, die sehr offen sind und in komplementären Methoden eine wichtige Ergänzung sehen. Sie machen ihre Patienten darauf aufmerksam und erkennen, dass diese einen Zusatznutzen haben.