palliative zh+sh

Sprunglinks/Accesskeys

Medienschau April 2023

Medienschau April 2023

Weitere Infos

Die Medienschau von palliative zh+sh gibt Einblick in die Berichterstattung zu Palliative Care und verwandten Themen des vergangenen Monats. (Bild: gme)

Portrait

Weitere Infos zum Thema

Dokumente zum Thema

Video zum Thema

10. Mai 2023 / Medien
Im Kanton Zürich muss die Regierung ein Gesetz für Palliativpflege ausarbeiten. Beim Thema Kinderhospiz liegt die Schweiz weit hinter dem restlichen Europa. Und einem verwahrten Straftäter wird die Verlegung in ein Hospiz verwehrt. Diese und weitere Nachrichten in unserer Medienschau vom Monat April.
Die Zürcher Regierung muss ein Gesetz zur Palliativpflege ausarbeiten. Mit 87 zu 83 Stimmen hat der Kantonsrat eine Motion überwiesen. Darin geht es um «zeitgemässe Palliative Care in Alters- und Pflegeheimen» – um eine einheitliche Palliativpflege und deren Finanzierung. Die Motion zielt darauf ab, in jeder Pflegeinstitution im Kanton – ob öffentlich oder privat – den gleichen Zugang zu palliativer Pflege zu gewährleisten. Denn in Situationen der akuten Verschlechterung kann ein spezialisiertes Palliative-Care-Team mit ärztlichem und pflegerischem Beistand den enormen Druck auf die hauseigenen Pflegeteams vermindern und die Situation für alle Beteiligten verbessern – beispielsweise mit dem Einsatz von Schmerzpumpen. Ein solches Modell betreibt beispielsweise das GZO-Spital Wetzikon: Ein mobiles Team von Palliative-Care-Spezialisten des Spitals ist in 27 Gemeinden im Zürcher Oberland unterwegs, 25 Gemeinden beteiligen sich finanziell. Der Zürcher Regierungsrat hat nun zwei Jahre Zeit, eine entsprechende Gesetzesvorlage für den ganzen Kanton auszuarbeiten.
«Tod im Vollzug: Sein letzter Wunsch blieb unerfüllt»

«Auch ein Verbrecher hat das Recht, in Würde zu sterben», sagte vor einigen Monaten ein krebskranker Mehrfachmörder. Er wollte nicht in der Gefängnisabteilung des Berner Inselspitals sterben. Nun ist der Straftäter gestorben, wie «der Bund» in einem Artikel schreibt. Tod im Vollzug – sein letzter Wunsch blieb unerfüllt. Der Fall ist exemplarisch: Es fehlen palliative Angebote für schwerkranke Straftäter. Doch braucht es die?

Der 54-jährige C. hatte einen Tumor, der sich vom Magen-Darm-Trakt in die Gallenblase, Niere, Leber und Lunge ausgebreitet hatte. C. verbüsste eine lebenslängliche Freiheitsstrafe. Dazu kam eine Verwahrung. Die Tat liegt schon eine Weile zurück und sorgte für Schlagzeilen. Nach der tödlichen Diagnose wurde der Schwerkranke über Monate zwischen der Strafanstalt Thorberg und der Bewachungsstation des Inselspitals hin- und herverlegt, alle zwei Wochen wurde er einer Chemotherapie unterzogen. Der Straftäter legte beim Berner Obergericht Beschwerde ein, dieses lehnte sie ab. Der Freiheitsentzug stelle «keine besondere oder ernsthafte Gefahr für die Gesundheit und/oder das Leben des Beschwerdeführers» dar. Doch auf die Situation, dass die Straftäter immer älter werden, haben inzwischen einzelne Kantone reagiert. So gibt es etwa in den Justizvollzugsanstalten Lenzburg AG und Pöschwies ZH Abteilungen für über 60-Jährige, die Pflege bis zu einem gewissen Grad anbieten. Und der Kanton Obwalden prüft, im Vollzug eine Pflegestation einzurichten. Ein Palliativstation oder ein Hospiz für Schwerverbrecher werde es vorläufig aber nicht geben, erklärte ein Experte gegenüber der Zeitung.
«Sie dürfen hier die Zeit, die ihnen bleibt, geniessen»

Auch im Kloster Baldegg, auf der Halbinsel zwischen Pfäffikon und Rapperswil, setzt man auf palliative Betreuung. Im idyllisch gelegenen Haus ist das Hospiz Hurden untergebracht. Seit zwölf Jahren stehen vier Zimmer bereit, in welchen Sterbende liebevoll umsorgt und auf ihrer letzten Reise begleitet werden. Schwester Jolenda Elsener hat das Hospiz während elf Jahren geleitet. Seit sie pensioniert ist, kann sie sich noch intensiver um die eigentliche Sterbebegleitung kümmern. Das Durchschnittsalter der Sterbenden liege bei rund 65 Jahren, sagt Schwester Jolenda. Sie hätten gerade in jüngster Zeit viele Kranke gehabt, die zu jung waren für ein Alters- und Pflegheim. «Sie dürfen deshalb hier die Zeit geniessen, die ihnen verbleibt.» In Schwester Jolendas Augen ist das Heim eine Durchgangsstation auf der Reise in eine andere Welt. Angehörige oder auch Patienten – die sie lieber Gäste nennt – seien stets willkommen, das Haus zu besichtigen, bevor sie sich für einen Aufenthalt entscheiden. Gäste seien sie deshalb, weil sie sich im Kloster nicht in eine Ordnung einfügen müssen. So gibt es keinen fixen Tagesablauf. Die Schwerkranken werden umsorgt, man versucht, wo immer möglich, ihre Wünsche zu erfüllen. Das seien manchmal kleine Dinge, die grosse Glücksgefühle auslösen können, weiss Schwester Jolenda, etwa eine Zigarette oder ein Gläschen Wein. «Warum sollten sie das nicht geniessen dürfen?» fragt sie. Die meisten von ihnen hätten eine lange Leidensgeschichte, hier sollen sie zur Ruhe kommen, Vertrauen fassen, denn: «Nur wer uns vertraut, kann auch Gott vertrauen.»

***

Eine lebhafte und sehr interessante Radiosendung strahlte das SRF Anfang April aus. Im «Treffpunkt» ging es um das Thema «Über den eigenen Tod schreiben», Gast war Wissenschaftlerin und Autorin Corina Caduff (siehe auch unser Interview auf pallnetz.ch). Immer mehr Schriftstellerinnen und Schriftsteller, die schwer erkrankt sind, schreiben über das Sterben, stellt die Literatur- und Kulturwissenschaftlerin fest. Sie hat selbst schon mehrere Bücher rund ums Thema Tod und Sterben geschrieben. «Das Genre der sogenannten autobiografischen Sterbeliteratur ist in den letzten ein bis zwei Jahren gewachsen.» Im öffentlichen Diskurs und in den Neuen Medien werde es immer häufiger thematisiert, sagt Caduff. «Auch in der Popkultur taucht es immer mehr auf.» So gibt es beispielsweise in Zürich das Festival «Hallo Tod!». Dort gibt es über mehrere Tage verschiedene Ausstellungen, Lesungen, Gespräche und Filme rund ums Thema Tod. Dass mehr darüber gesprochen und von Betroffenen direkt darüber geschrieben wird, findet die Wissenschaftlerin wichtig. Als Patientin oder Patient ist man oft ausgeliefert und auf Ärzte, Pflegepersonen, Spitäler und Medikamente angewiesen.

Sterbeberichte können auch für Personen, die in der Palliative Care oder Seelsorge arbeiten, hilfreich sein. Was beschäftigt die sterbenden Personen? Welche Gedanken und Ängste haben sie? Und sie können für uns alle wichtig sein. «Wir können Empathie gegenüber dem eigenen zukünftigen Ich aufbauen. Denn sterben werden wir alle irgendwann.» Setzt man sich als gesunde Person damit auseinander, kann man die Gegenwart intensivieren und dankbar sein, sagt die Wissenschaftlerin: «Wir können unser Leben nicht verlängern. Doch wir können das, was wir haben, intensivieren.»
«Lernen in Worte zu fassen, was sprachlos macht»

Was soll ich meiner Nachbarin schreiben, deren Mann viel zu jung gestorben ist? Wie verfasse ich eine Rede für die Trauerfeier meiner Mutter? Und was soll der Inhalt einer SMS an eine Freundin sein, die im Sterben liegt? Die meisten von uns sind in solchen Situationen überfordert. Wir finden die richtigen Worte nicht, wollen uns aber angemessen ausdrücken. Haben Angst, einen Fehler zu machen. Kommunikationsfachfrau Elena Ibello hat sich auf die Themen Sterben und Tod spezialisiert. Und sie gibt Workshops, in welchen Interessierte lernen können, wie man das in Worte fassen kann, was uns sprachlos macht. Eine Redaktorin des «Tagesanzeigers» hat die Kommunikationsfachfrau – sie war unter anderem Kommunikationsverantwortliche bei palliative zh+sh – in einem Kurs besucht. Einer der Tipps an die Teilnehmerinnen: «Oft hilft es, Distanz zu schaffen, das schärft die Wahrnehmung.»

Wie sie selbst das macht, zeigt das Buch von Elena Ibello «Zu Ende denken». Darin lässt sie als Herausgeberin rund 50 Personen ihre Worte für den Tod finden. Und das Buch ist gleichzeitig der Beginn ihrer besonderen Berufsspezialisierung. Diese berufliche Auseinandersetzung mit dem Tod unterscheide sich vom persönlichen Schreiben über das Sterben, sagt die 40-Jährige. Man müsse weniger Gefühle zum Ausdruck bringen, dafür gebe es andere Tücken: «Wir brauchen oft Wörter wie Selbstbestimmung, Lebensqualität oder Würde. Diese werden aber von jeder Person anders interpretiert.»

***

Eine Reportage der «Schweizerischen Ärztezeitung» gibt Einblick in die Spitalseelsorge. Darin zeigt die Autorin auf, dass Spitalseelsorge ein wichtiger Teil der Palliative Care ist und in verschiedensten Situationen zum Zug kommen kann. «Ich sehe mich als Teil des Behandlungsteams und möchte dazu beitragen, dass der Aufenthalt für die Betroffenen gut verläuft», sagt Bernd Siemes, Leiter der katholischen Spitalseelsorge am Universitätsspital Zürich. Die Konfession spielt dabei eine untergeordnete Rolle. Eigentlich spricht er mit den Patientinnen und Patienten über ganz alltägliche Dinge. «Aber oft schwingt eine spirituelle Dimension mit. Oder sie ergibt sich beim zweiten oder dritten Gespräch.» Spirituell heisst nicht religiös. Und auch nicht katholisch. Oder reformiert. Es bedeutet, die individuelle Spiritualität der Patientin oder des Patienten wahrzunehmen und ins Gespräch miteinzubeziehen. So fliesst seine Arbeit auch in die Behandlung ein und entlastet im besten Fall das Team. Susanna Meyer Kunz, die Leiterin der reformierten Seelsorge am USZ, erklärt es so: «Wir Seelsorgende machen Human Care. Das heisst, wir nehmen die weichen Faktoren im Spital wahr, die im Stress manchmal untergehen. Zudem machen wir Spiritual Care für all jene, denen Spiritualität wichtig ist.» Und natürlich sind die Seelsorger Spezialisten in der Pastoral Care. Sie führen konfessionelle Rituale durch oder Beten gemeinsam mit den Kranken. Und die Seelsorgenden sind auch für die Mitarbeitenden da: Bei Krisengesprächen mit Angehörigen und Patienten, religiösen Fragen oder wenn Mitarbeitende selbst in der Krise sind.
«Wir hätten es wohl nicht gepackt»

Über 5’000 Kinder in der Schweiz leben mit einer lebensverkürzenden Krankheit. Sie und ihre Familien brauchen Hilfe. Hilfe, um Schmerzen ihrer Kinder zu lindern. Hilfe bei der täglichen Versorgung der kleinen Patienten. Hilfe, um die mit der Krankheit verbundenen Kosten zu decken. Im Vergleich zu anderen europäischen Ländern gibt es in der Schweiz wenig Unterstützung für diese Kinder und ihre Familien. Das betrifft auch die Palliative Care, wie ein Artikel des «Beobachter» aufzeigt. Und so erlebt es auch Loics Familie. Schon beim Ultraschall war klar, dass etwas mit dem Ungeborenen nicht stimmte. Die Nackenfalte war zu dick und bald kamen immer mehr Auffälligkeiten zum Vorschein: Unterentwicklung, Herzfehler, Darmverschluss, Klumpfüsschen. Mittlerweilen ist Loic dreieinhalb Jahre alt und wird palliativ betreut: von den Eltern, den Ärztinnen und Ärzten, den Pflegefachleuten, der Audio- und Visionspädagogin, der Physiotherapeuten. «Manchmal bin ich dankbar, dass wir nicht von Anfang an wussten, was alles auf uns zukommen wird. Wir hätten es wohl nicht gepackt», sagt Mami Nathalie. «Aber letztlich haben wir keine Wahl.»

Wie viel der Alltag mit einem schwerstkranken Kind Familien abverlangt, sieht auch Simone Keller in ihrem Berufsalltag. Sie berichtet dem «Beobachter» von ihren 15-jährigen Erfahrung in der Palliative Care mit Kindern und Jugendlichen. «Wenn man Familien im Alltag begleitet, versteht man schnell, dass sie einen Ort brauchen, an dem sie sich geborgen, gleichzeitig aber auch medizinisch gut versorgt fühlen – etwas zwischen Spital und Betreuung zu Hause.» Genau das könnte ein Kinderhospiz sein. Allein in Deutschland gibt es 20 davon, in ganz Europa 130. Die Schweiz hat noch kein einziges. Simone Keller ist aber optimistisch, dass Anfang 2024 das erste Kinderhospiz der Schweiz, das Allani Kinderhospiz in Bern, eröffnen kann.

***

Eine informative Reportage sendeten ARD und Bayrischer Rundfunk in einem Beitrag von «Sehen statt Hören». Die gehörlose Dorothe Münz pflegt ihre 92-jährige demente Mutter. Als diese die Diagnose Bauchspeicheldrüsenkrebs bekommt, wird klar, dass sie nicht mehr lange leben wird. Höchstens noch ein Jahr, heisst es. Kurze Zeit später verstirbt die Mutter – ein Schock für Dorothe: «Obwohl ich wusste, dass sie bald nicht mehr am Leben sein würde, konnte ich es einfach nicht glauben, ihren Tod nicht begreifen. Ihr Tod hat mich mehr mitgenommen als erwartet.» Denn Dorothe Münz ist mit dem Thema Sterben vertraut. Sie macht eine Ausbildung zur ehrenamtlichen Hospizbegleiterin.

In einem zweiten Teil des TV-Beitrages nimmt die Redaktorin uns mit auf die Palliativstation der Hospizgruppe Würzburg. Hier werden gehörlose Menschen beim Sterben begleitet. Die Bedürfnisse Gehörloser sind in der Phase des Sterbens anders als die von Hörenden: Musik oder Gesprächen können sie nicht lauschen. Es zählt die körperliche Nähe, der Halt, die Berührung. Das unmittelbare Gefühl, dass immer jemand anwesend ist – am besten eine der gehörlosen Hospizbegleiterinnen, die mit dem Schwerstkranken auch kommunizieren können.
palliative zh+sh / Bettina Weissenbrunner