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Wenn es die letzten Weihnachten sind

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20. Dezember 2023
Wie feiert jemand Weihnachten, der weiss, dass es für ihn die letzten Feiertage sind? Ist der Abschied vom Leben in dieser Zeit besonders schwer? Ein Gespräch mit Ingo Bäcker, Spitalseelsorger und Seelsorger im Hospiz Schönbühl in Schaffhausen.
Bewohner eines Hospizes erleben meist ihre letzten Weihnachten. Was bedeutet Weihnachten am Lebensende?

Es gibt eine Gemeinsamkeit von Weihnachten und Lebensende. Beide wirken wie eine Art Brennglas auf uns, es ergibt sich ein intensiverer Blick. Alles, was Menschen beschäftigt – ob im Guten oder weniger Guten, im Schmerzhaften oder Wunderschönen – wird an Weihnachten und am Lebensende besonders intensiv. Wie aber Menschen Weihnachten am Lebensende erleben, ist unterschiedlich – wie das Leben an sich. Wenn jemand sehr tröstliche und schöne Erinnerungen hat an vergangene Weihnachten, dann kann ich mir gut vorstellen, dass auch die letzten etwas Schönes sind. Hat aber jemand “den Horror” vor Weihnachten – vielleicht wegen Familienstreitigkeiten, Einsamkeitsgefühlen oder warum auch immer -, dann spielt auch das am Lebensende eine stärkere Rolle.

Wie ist es, gerade in der Weihnachtszeit loslassen zu müssen?

Ich glaube, dass es in diesen Tagen nicht schwieriger ist, selbst loszulassen oder einen anderen Menschen loszulassen. Natürlich ist Weihnachten für viele eine sehr emotionale Zeit, und dann ist vielleicht auch das Loslassen emotionaler. Ich erinnere mich, dass mein Grossvater am ersten Weihnachtstag, also dem 25. Dezember, gestorben ist. Ich habe das als Kind schon als zusätzlichen Schmerz empfunden, weil Weihnachten für mich sonst immer sehr positiv besetzt war. Aber ich habe als Seelsorger auch schon Menschen erlebt, die mit der Familie am Bett nochmals Weihnachten gefeiert haben, und alle haben dies als harmonischen Abschluss des Lebens empfunden.

Und inwiefern können Sie als Seelsorger dem Schwerstkranken helfen?

Ich laufe zwar nicht die ganze Zeit mit einer Bibel in der Hand rum, aber in der Weihnachtszeit lese ich schon mal jemandem die Weihnachtsgeschichte vor, wenn er das möchte. Grundsätzlich spreche ich aber auch in dieser Zeit über das, was der Mensch selbst mit mir als Seelsorger thematisieren will. Natürlich kann ich das auch ein bisschen beeinflussen. Wenn mir jemand permanent von seinen Enttäuschungen im Leben erzählt, dann werde ich dem natürlich nachgehen. Aber ich kann auch irgendwann fragen, welch schöne Dinge er in seinem Leben erlebt hat. Ob er nicht auch mal darüber sprechen möge. So kann man gerade an Weihnachten den hoffnungsspendenden Elementen im Leben nachgehen.

Wie erleben die Angehörigen diesen Abschied?

Es ist in diesen Tagen halt alles noch intensiver. Unsere ganze Gesellschaft drückt kräftig auf die Emotionsdrüsen. Dem kann sich keiner so wirklich entziehen. So erleben die Angehörigen den Abschied vielleicht tatsächlich noch emotionaler als sonst.

Wie können Sie als Seelsorger den belasteten Familien beistehen?

Wenn immer es geht, dann versuche ich, die Angehörigen beizuziehen. Manchmal kommt der Wunsch nach einer Art Abschiedsfeier. Oder ich werde gefragt, ob ich eine Krankensegnung machen kann. Da versuche ich, wo immer möglich, die Angehörigen einzubeziehen. Erst letzte Woche bat mich die Tochter eines Patienten, ein Abschiedsgebet zu halten. Ich ermutigte sie, noch weitere Angehörige dazu einzuladen. Und so kam in Kürze eine kleine Gruppe zusammen und wir durften eine Abschiedsfeier im Familienkreis abhalten.

Am Lebensende zählen Zuwendung und Fürsorge. Fällt es den Angehörigen in der Weihnachtszeit leichter, diese dem Schwerkranken zu geben?

In einem Hospiz, wie dem Schönbühl in Schaffhausen, ist generell eine sehr ruhige und angenehme Atmosphäre – das gilt über das ganze Jahr. Man kommt weg vom Trubel der Welt und hat die Möglichkeit, innezuhalten. Das gehört zu den ganz grossartigen Wirkungen eines Hospizes.

Etwas, das in einem Spital eher nicht der Fall ist?

In Bezug auf meine konkrete Seelsorge, auf meine Begegnung mit der Patientin oder des Patienten, sehe ich keinen grossen Unterschied. Diesen sehe ich aber im Setting, in der Atmosphäre. Es gibt auch im Spital sehr innige Momente. Aber die Situation ist unberechenbarer. Es ist ein Hin und Her, es herrscht reger Betrieb und die Person ist vielleicht auch nicht alleine im Zimmer, sondern sie liegen zu zweit oder dritt. Das ist im Hospiz anders, dort sind intimere, persönlichere Momente möglich.

Das Jahresende ist auch eine Zeit der Rückblicke. Welche Rolle spielen Erinnerungen?

Erinnerungen sind generell ein unglaublich starker Wert in der Seelsorge. Ich bitte manchmal die Menschen ganz direkt darum, etwas aus ihrem Leben zu erzählen. Gerade bei Gesprächen, die etwas harzig laufen, kann das ein wunderbarer Türöffner sein. Und im Gespräch passiert dann plötzlich ganz viel.

Auch für jene Menschen, die im vergangenen Jahr jemanden verloren haben, ist die erste Weihnachtszeit ohne die Verstorbene / den Verstorbenen nicht einfach.

Ja, erste Weihnachten ist ein schwieriger Zeitpunkt. Ich höre das auch in unserem Trauerkaffee. Im November fanden dort wieder unsere vier Abende statt, und dabei beschäftigte uns unter anderem die Frage, was das bevorstehende Weihnachtsfest für uns bedeutet. Was haben die Trauernden für Gefühle und vielleicht Befürchtungen? Wie wollen sie Weihnachten verbringen? Und da kamen einige Äusserungen wie «Ich kann nicht an der traditionellen Weihnachtsfeier der Familie teilnehmen, wenn die Verstorbene nicht mehr dabei ist. Ich ertrage das nicht». Es ist wichtig, dass man diesen Zustand, dieses Empfinden auch zum Thema macht. Ebenso wichtig ist, dass der Angehörige irgendeinen Platz im jetzigen Leben findet für den Verstorbenen – in welcher Form auch immer. Ein Foto aufstellen zum Beispiel. Viele sagen auch, dass sie mit dem Verstorbenen sprechen. Und es gibt Hinterbliebene, die jeden Tag eine SMS an den Verstorbenen senden. Egal auf welche Art und Weise – aber die Verstorbenen müssen einen Platz im Leben ihrer Liebsten erhalten – nicht nur an Weihnachten.
palliative zh+sh / Bettina Weissenbrunner