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Medienschau Dezember 2017

Medienschau Dezember 2017

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Die Medienschau von palliative zh+sh gibt Einblick in die Berichterstattung zu Palliative Care und verwandten Themen des vergangenen Monats. (Bild: palliative zh+sh, ei)

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Die Medienschau

Unter dem Titel «Medienschau» bietet palliative zh+sh regelmässig einen (unvollständigen) Überblick über die Berichterstattung in verschiedenen Medien zu Palliative Care und verwandten Themen.

Die Medienschau ist eine Momentaufnahme eines Ausschnittes der öffentlichen Diskussion zum Thema und bietet kurze Zusammenfassungen, zeigt Verknüpfungen auf und soll nicht zuletzt unterhalten und zur weiteren Lektüre der besprochenen Beiträge anregen. Wo vorhanden werden die Links zu den Beiträgen deshalb unter «Links zum Thema» aufgelistet.

Dokumente zum Thema

Video zum Thema

12. Januar 2018 / Medien
Ein wichtiger Artikel erschien unter dem Titel «Ein Monat Sterben für 86‘000 Franken» in der NZZ. Er schildert den Fall von «Martin Lenoir», wie der 75-jährige Mann im Text genannt wird. Lenoir hatte Prostatakrebs mit Metastasen in der Lunge und keine Aussicht auf Heilung. Er hatte offenbar keinen grossen Lebenswillen mehr. Trotzdem wurde er dreimal operiert, aber lange Zeit nicht palliativ betreut. Lenoir war privatversichert, in seinem letzten Lebensmonat fielen mehr als 86‘000 Franken Gesundheitskosten an. An seiner Geschichte zeigen sich viele aktuelle Probleme in der Betreuung Schwerkranker. Eines davon ist die Tatsache, dass zu selten und zu wenig ausführlich über die vorhandenen Möglichkeiten bei schwerer Krankheit und am Lebensende gesprochen wird. Vor einer Operation sollen die Ärzte den Mann unter Druck gesetzt und gesagt haben: «Entweder Sie machen das jetzt, oder Sie sterben sehr bald.» Der Sohn des Patienten sagte gegenüber der NZZ, niemand habe seinem Vater je aufgezeigt, welche Möglichkeiten der Sterbebegleitung mit schmerzstillenden Medikamenten es als Alternative zu den chirurgischen Eingriffen gegeben hätte. Neben der Verantwortung der Leistungserbringer thematisiert Autor Simon Hehli auch die Verantwortung der Betroffenen. Müssten die Angehörigen «stärker für die Interessen der Patienten einstehen, wenn sie das Gefühl haben, dass die Ärzte übertreiben?»
«Entweder Sie machen das jetzt, oder Sie sterben sehr bald.»
Ärzte zu Patient

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Ein Konzept, das an einem anderen Ort ansetzt, aber ähnliche Situationen mit urteilsunfähigen Patienten und Patientinnen verbessern will, konnten Barbara Loupatatzis und Tanja Krones in der Zeitschrift «Praxis. Schweizerische Rundschau für Medizin» vorstellen. Unter dem Titel «Patientenverfügung „plus“» schrieben sie über das Konzept des Advance Care Planning (ACP), das es «Menschen ermöglicht, sich mit dem Thema der medizinischen Behandlungen im Fall der eigenen Urteilsunfähigkeit im Rahmen von Gesprächen mit Ärzten und speziell geschulten Beratern auseinander zu setzen». Ausserdem will das Konzept eine einheitliche Dokumentation implementieren. Beispiele aus den USA und der Schweiz zeigen, dass ACP-Programme dazu führen können, dass Patientenwünsche signifikant häufiger beachtet werden. Loupatatzis und Krones sehen die Chance des Konzeptes entsprechend darin, «mehr Sicherheit für das konkrete, am Wunsch des Patienten orientierte Vorgehen in medizinischen Krisensituationen zu schaffen» und einer Über- und Unterversorgung entgegenzuwirken. Sie weisen zudem darauf hin, dass die vorausschauende Kommunikation mit den Patientinnen und ihren vertretungsberechtigten Personen zu einer «Reduktion des Stresspotenzials in Notfallsituationen» führt.

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Gemeinsam mit der Patientin oder dem Patienten die Optionen, Grenzen und Wünsche auszuloten, dafür plädiert auch Heike Gudat, Leitende Ärztin im Hospiz im Park in Arlesheim. «Wir denken immer, Gespräche über Sterbewünsche brauchen zu viel Zeit. Stimmt nicht», sagt sie. Vermutlich schwinge mehr die Angst mit, sich einzulassen und schlaue Antworten zu finden. In der «Praxis Depesche» wurde Gudat zu ihrer Studie über Sterbewünsche von Patienten interviewt. Sie weiss, dass auch bei guter palliativer Versorgung Sterbewünsche bestehen können. In ihrer Studie hat sie herausgefunden, dass Sterbewünsche immer «komplexe Konstrukte aus verschiedenen „Wunsch-Strängen“» sind. Für behandelnde Ärztinnen und Ärzte sei es wichtig, die Sterbewünsche ihrer Patienten ernst zu nehmen und zu analysieren. «Die Wünsche, Haltungen und Bedürfnisse zu persönlichen Themen wie Leben, Sterben und Endlichkeit kann man nur verstehen, wenn man die Lebensgeschichte (…) des Betroffenen aus dessen Perspektive kennt.» Gerade in der Onkologie, die so vielseitig sei, sei es eine grosse Aufgabe, «für den Einzelnen den optimalen – nicht maximalen – Weg zu finden».
«Es ist eine grosse Aufgabe, für den Einzelnen den optimalen – nicht maximalen – Weg zu finden».
Heike Gudat

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In Italien dürfen Todkranke neuerdings lebensverlängernde Massnahmen ablehnen. Über die entsprechende Gesetzesänderung berichteten einige Medien. So auch die «Aargauer Zeitung» AZ. Sie schreibt, mit dem Gesetz solle insbesondere der «therapeutische Übereifer» eingedämmt werden – «also Behandlungen für Schwerkranke, die bloss noch das Leiden verlängern, ohne dass ein Funken Hoffnung auf Heilung besteht». Künstliche Ernährung oder Beatmung darf künftig abgebrochen oder abgelehnt werden, «wenn der Betroffene oder der von ihm dazu Bevollmächtigte dies entscheidet». Bisher hätten in Italien im Streitfall Richter darüber entschieden, ob Beatmungsgeräte abgeschaltet oder Magensonden entfernt werden. In den letzten Jahren seien zahlreiche Italiener_innen zum Sterben in die Schweiz gereist, um sich mithilfe von Sterbeorganisationen das Leben zu nehmen.

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Die «European Society of Medical Oncology» ESMO spricht sich für Early Palliative Care aus. Sie legte ein Positionspapier vor, in welchem die «Bedeutung psychosozialer Angebote im Rahmen der Krebsbehandlung» unterstrichen werde, berichtete das deutsche «aerzteblatt.de». Karin Jordan, Hauptautorin des Positionspapiers, wird in der Medienmitteilung der ESMO zitiert: «Neuen Studien zufolge gibt es möglicherweise einen Unterschied zwischen dem, wovon Ärzte denken, dass es für Patienten wichtig ist, und dem was Patienten tatsächlich benötigen. Mit diesem Positionspapier möchten wir darauf aufmerksam machen, dass Krebspatienten nicht nur Tumorbehandlungen, sondern auch physische, psychische, soziale und geistige Unterstützung benötigen, und zwar in jedem Krankheitsstadium und direkt ab Stellung der Diagnose.» Wie es beim aerzteblatt.de heisst, spricht sich die ESMO gegen eine «standardisierte Behandlung von Krebspatienten aus und fordert stattdessen eine individualisierte Behandlung».

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Eva Bergsträsser, Kinderonkologin und Palliativmedizinerin am Universitäts-Kinderspital Zürich erzählte im Dezember dem Newsportal «watson» von ihrer Arbeit. Neben der «Linderung des physischen und moralischen Leidens und der Verbesserung der Lebensqualität» gehöre auch die enge Betreuung der Familie zur Pädiatrischen Palliative Care. Gespräche über das Sterben mit Familien und Kindern sind nicht leicht. Eine gute Kommunikation sei deshalb ein Muss, so Bergsträsser, die im Buch «Reden über Sterben» zu diesem Thema ein Kapitel verfasst hat. Thema im watson-Artikel war auch die von Bergsträsser durchgeführte Studie zur Versorgung schwerkranker Kinder. Demnach gibt es nach wie vor nicht genug spezialisierte Kinderärzte in der Schweiz. Nicht zuletzt deshalb können nur wenige Kinder zuhause sterben, obwohl die meisten Familien sich das wünschen würden.

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Birgitte Wernli lebt trotz ALS, einer rasch voranschreitenden Erkrankung des Nervensystems, zuhause, wo ihre Partnerin Heike sie pflegt. Der «Blick» porträtierte das Paar und konnte damit zeigen, wie wertvoll es sein kann, wenn schwerkranke Menschen so lange wie möglich zuhause bei ihren Nächsten bleiben können – und welch grosse Aufgabe pflegende Angehörige leisten. «Heike Wernli ist eine von 160‘000 Berufstätigen in der Schweiz, die unentgeltlich Angehörige pflegen. Sie hat ihr Arbeitspensum auf 50 Prozent reduziert.» Heike Wernli weiss, wie belastend die Pflege eines Familienmitglieds sein kann und hat darum Unterstützung organisiert. «Trotzdem kam Heike schon an ihre Grenzen.» Dennoch sagt sie, sie pflege ihre Partnerin gern. «Sie ist ja immer noch die gleiche Person, in die ich mich verliebt habe.» Und Brigitte Wernli sagt: «Unser Leben ist trotzdem schön.»
Heike Wernli ist eine von 160‘000 Berufstätigen in der Schweiz, die unentgeltlich Angehörige pflegen. (Blick)

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Menschen, die ehrenamtlich oder privat Schwerkranke am Lebensende betreuen, erhalten im «Letzte Hilfe-Kurs» im Norden Deutschlands Ratschläge und Denkanstösse. Die «Frankfurter Allgemeine» FAZ berichtete über die Kurse, die vor knapp drei Jahren vom Palliativmediziner und Notarzt Georg Bollig entwickelt wurden. Sie stossen auf reges Interesse: Menschen zwischen 20 und 80 Jahren nehmen daran teil. Um die Kurse bald in ganz Deutschland anbieten zu können, bildet Bollig zusammen mit Kollegen neue Kursleiter_innen aus. Eine der mehr als 250 bereits Ausgebildeten ist Marina Schmidt. Sie leitet einen ambulanten Hospizdienst und will den Kursteilnehmenden vermitteln, wie sie das Leid von Menschen am Lebensende lindern können. «Angst fällt beispielsweise darunter, aber auch allgemeine Unruhe, Durst oder Schmerzen.»

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Aus einer anderen Ecke in Deutschland berichtete die «Süddeutsche» über die Leiterin der Palliativstation im Tutzinger Krankenhaus. Ulla Mariam Hoffmann ist Ärztin und Ordensschwester und sagt, die meisten Ärzte hätten das Reden nicht gelernt, «sie untersuchen lieber». «Viele Patienten berichten, dass sie eine Odyssee durch Kliniken und Arztpraxen hinter sich hätten, mit Diagnosen und Therapien – aber niemand sprach mit ihnen über ihre Lebenserwartung und wie sie mit der Situation fertig würden.» Schwester Ulla Mariam spricht dagegen von einer «Begegnung auf Augenhöhe». In der Palliativmedizin sei ausserdem der «Teamgedanke» sehr wichtig. Sie wünscht sich, dass der Hospizgedanke noch viel mehr in der Gesellschaft verankert werde, «schliesslich müssen wir alle mal sterben. Und wir müssen uns alle fragen, was wir dazu beitragen, damit Sterbende nicht einfach abgeschoben werden».
«Die meisten Ärzte haben das Reden nicht gelernt, sie untersuchen lieber».
Schwester Ulla Mariam

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Mit dem Tagesanzeiger sprach der Berner Musiker und Autor Urs Frauchiger über sein aktuelles Buch mit dem Titel «Woran um Himmelswillen sollen wir noch sterben?». Der 81-Jährige sagt darüber: «Es berichtet, wie ich das Alter erfahre und was ich dazu denke. Alles Missionarische ist mir fremd.» Es sei ihm wichtig, dass die «unabdingbare Ganzheit von Geburt, Leben und Tod aufscheint im Buch, weil dieses Bewusstsein verlorengegangen ist». Vor einigen Jahren war er lebensbedrohlich an Krebs erkrankt. Nun sagt er, das Entscheidende an dieser Prüfung sei die existenzielle Einsicht gewesen: «Es wird nie mehr sein wie vorher. Damit muss man leben, und daraus erfährt man das ganz neue Glück dieser letzten Lebensphase.» Frauchiger stört sich an «der Wehleidigkeit», die bei uns im Zusammenhang mit dem Sterben herrsche: Er habe nichts gegen Palliativmedizin, aber wenn man die letzten Dinge auf ein «Tuts weh?» verkleinere, dann sei das für ihn fast obszön angesichts des herrschenden Leids auf der Welt. «Es gibt keinen Tod zum Nulltarif», sagt er.

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Eindrückliche Bilder von Fotograf Kyung-Hoon aus Japan zeigte die «Zeit» Dort möchten viele Menschen im Krankenhaus sterben, aber oft gibt es Wartelisten. Die Bilder geben kleine Einblicke, wie Sterbende in Japan zuhause bis zuletzt leben, wie sie betreut werden und wie die japanische Tradition dieses Leben und Sterben beeinflusst.
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